Schlucken und Schweigen

Ausgerechnet zum Weltfrauentag verursacht der Bundesfrauenbeauftragte einen Eklat

„Können die nicht mal was Vernünftiges machen – mal einen leckeren Sauerbraten“

BERLIN taz ■ Eigentlich begann am gestrigen Dienstag alles recht normal. Die Hauptstadt stand ganz in der Erwartung des Internationalen Frauentages, und der Bundesbeauftragte für Frauenfragen, Wolf-Rüdiger Kehl, hielt wie üblich seine Jahrespressekonferenz einen Tag vor dem politischen Großereignis ab.

Kehl hatte sich wie gewohnt ein gängiges, jahreszeitgemäßes Thema gewählt und begann seinen Zustandsbericht der Geschlechtersituation aus bundesbehördlicher Sicht mit einem dringenden Appell: In seiner Funktion als Bundesbeauftragter rief er offiziell den gesetzlichen Notstand für Frauen aus. Ab sofort bestehe für sämtliche Männer die Verpflichtung, Frauen und Mädchen zu wärmen, erklärte Kehl. Grund für die Anordnung sei die selbst für die Jahreszeit ungewöhnlich lang andauernde Kälte. Da Deutschland regelrecht eingefroren sei, habe die weibliche Bevölkerung mittlerweile allergrößte Probleme, ausreichend Wärme zu finden. Ohne Wärme aber würden viele Frauen verkümmern, so Kehl.

So weit schien alles wie immer zu verlaufen. Doch was dann geschah, sollte in die Geschichte der Geschlechterbeziehungen eingehen. „Schluss mit dem Scheiß-Alibikuscheln!“, rief plötzlich Kehl, der bislang als Weichei unter den deutschen Politikern angesehen wurde. Die Journalisten blickten sich stirnrunzelnd an, vage ahnend, dass sie Zeuge einer politischen Sensation werden sollten.

Als ob das Wort „kuscheln“ tief im Innersten Kehls etwas ausgelöst hatte, begann der Frauenbeauftragte zu zetern und zu krakeelen, dass es nur so eine Art hatte: „Schluss mit Schlucken und Schweigen! Heute ist der Stichtag für mich. Nicht nur Frauen geht es schlecht, sondern auch mir. Und überhaupt können mir all diese Weiber gestohlen bleiben! Jedes Jahr derselbe Scheiß: Da sitze ich hier vor den versammelten Langweilern der Presse und erzähle euch verdammten Medienheinis was über Frauenrechte. Aber wen interessiert’s?! Mich doch am wenigsten! Es denkt ja auch nie jemand an mich. Immer wieder ein und dasselbe: Frauen, Frauen, Frauen … Ich habe so die Schnauze voll von dem Job. Ja, schreibt das ruhig auf! Was geht mich eigentlich all das Weiberzeugs an? Können die nicht mal was Vernünftiges machen – mal einen leckeren Sauerbraten mit Klößen und Rotkohl. Statt immer nur zu nörgeln, nörgeln, nörgeln … Die sollen doch endlich zufrieden sein. Die haben doch sowieso längst gewonnen, diese Laber-Trinen. Ich sage nur Merkel. Angela Merkel, diese Oberpfeife … “

Weiter kam Wolf-Rüdiger Kehl nicht, denn seinem Mikrofon wurde abrupt der Saft abgedreht. Hinter ihm verstärkte sich der Tumult. Der tuschelnde Streit zwischen seinen Assistenten und Assistentinnen hatte sich zu einer handfesten Schlägerei entwickelt. Ein herbeigeeilter Polizeibeamter musste sich einer handtascheschwingenden Sekretärin erwehren. Kehls Pressesprecher ging als erster k.o., während zwei Unterstaatssekretärinnen ineinander verkeilt über das Podium rollten und sich gegenseitig an den Haaren ihrer Business-Föhnfrisuren zogen. Längst war der Funke auf die Journalisten unten im Saal übergesprungen, wo einige heftig blutende Nasen und mehrere gebrochene Finger das Chaos perfekt machten.

Mittendrin aber saß still Wolf-Rüdiger Kehl, und ein entrücktes Lächeln der Genugtuung spielte um seine Lippen, als freute er sich über das nun schlagartig einsetzende Interesse der Fernsehsender, die nach und nach live in die Pressekonferenz hinüberschalteten. Zum allerersten Mal interessierte sich irgendjemand für den Internationalen Frauentag. Kehl war, so schien es, glücklich. MICHAEL RINGEL