Weniger Angst, mehr Spaß

Ausflug in die allzu heile Welt Norwegens: Armin Petras inszeniert Georg Büchners „Lenz“ in Oslo, der hier als heitere Burleske rezipiert und als comedyhaftes Belustigungsstück missverstanden wird. Das tut dem Erfolg der Inszenierung keinen Abbruch

von DANIEL MÜLLER

Norwegen ist ein friedliches Paradies: malerische Küsten und atemberaubende Gletscher, Fjorde, Elche und rote Blockhütten, soweit das Auge reicht. Öl und Gas sichern dem Volk für die kommenden Dekaden anhaltende Prosperität, die Verbrechensrate ist eine der niedrigsten in Europa, und das Grundvertrauen in den Mitbürger ist um ein Vielfaches höher als hierzulande. Man kann diesen Fleck Erde getrost als heile Welt bezeichnen.

Dies hat aber nicht nur Vorteile. Wie Beuys einmal bemerkte, kann aufrüttelnde Kunst nur aus verhärmtem Boden erwachsen. Das mag ein Grund dafür sein, dass es der norwegischen Bühne oft an Mut fehlt, an Pfeffer und vielleicht auch einfach nur an einem kleinen Anstoß von außen.

Für den zeichnet sich an der „Indie-Bühne“ des Nationaltheaters in Oslo, dem Torshovtheater, in diesem Frühjahr ausgerechnet Armin Petras verantwortlich, einer der derzeit radikalsten deutschen Regisseure. Der notorische Aktualisator nimmt die deutsche Geschichte des depressiven Schriftstellers Jakob Michael Reinhold Lenz und transferiert sie ins EU-Heute: Ein englisch-norwegisch-deutscher Sprachwust, der da auf die skandinavische Bühne kracht.

Wie aber kommt einer der gegenwärtig meistgefragten Regisseure Deutschlands an eine verhältnismäßig kleine Bühne in der norwegischen Hauptstadt, in der er darüber hinaus ein totaler Nobody ist? „Eigentlich sehr unspektakulär“, sagt der Pressereferent des Torshovtheaters, Jannik Wiberg. „Drei unserer Schauspieler reisten 2004 nach Hamburg, um Armins Theater zu sehen. Sie fragten ihn, ob er nicht etwas mit ihnen inszenieren wolle – und er hat Ja gesagt.“ Das Nationaltheater arbeite zwar oft mit ausländischen Regisseuren zusammen, aber die Arbeit mit und von Petras sei schon „etwas ganz Spezielles“.

Da kann auch Trond Espen Seim, der „Star“ der Aufführung, nur beipflichten: „Armin ist ein spezieller Regisseur. Er arbeitet sehr, sehr intensiv. Ihm ist das, was im Publikum passiert, viel wichtiger als die Bewegungen der Schauspieler – die kümmern ihn überhaupt nicht.“ Seim, der im vergangenen Jahr auf der Berlinale zum norwegischen Shootingstar gewählt wurde, blickt dabei nicht gerade beglückt, vielleicht sogar ein wenig verständnislos drein. Nach der schweißtreibenden Aufführung hängen ihm seine strähnigen, blonden Haare müde ins Gesicht, seine Lider wirken schwer, und er bittet: „Nur fünf Minuten, ja?“ Er sehnt sich nach einem wohlverdienten Bier.

Rund 120 intensive Minuten voller Glaube, Liebe, Hoffnung, Angst und Schmerz haben er und seine Mitstreiter soeben hinter sich gebracht. Eine sprachkakofonische Adaption eines deutschen Stückes Theater haben sie auf die kleine, runde Bühne gebracht, verpflanzt in eine andere, in die norwegische Kultur. Und Petras spielt mit dieser Kultur, verzichtet nicht auf Klischees: Er lässt seine Darsteller Ski laufen, traditionelle Rentierpullis tragen und „lenzisiert“ sie schließlich: In den unaufgeregten Videos von Steffen Schnittger und Klaus Kottmann berichten sie von ihren eigenen Urängsten, Träumen und Phantasien und werden so ein viel apodiktischerer Teil der Aufführung. Und wenn dann Jan Øigarden gegen Ende „Ich will weniger Angst, mehr Spaß in meinem Leben“ in die Kamera säuselt, so spricht er eben nicht nur für sich, sondern auch für Lenz. Ganz nebenbei hat er damit vielleicht auch ein wünschenswertes Motto für das künftige norwegische Theater gefunden. Mehr wagen, mehr riskieren, weniger Angst haben vor dem Neuen, dem Unbekannten, ja dem „Speziellen“.

„Dieser ‚Lenz‘ ist wohl ein wenig zu speziell für norwegische Sehgewohnheiten. Die Kritiken in den Zeitungen waren nicht sehr gut“, bedauert Wiberg, „manche Leute haben das Stück einfach nicht verstanden.“ Petras’ „Lenz“ wird hier als heitere Burleske rezipiert, als comedyhaftes Belustigungsstück missverstanden. Kollektives Lachen ergießt sich selbst über die ernsthaftesten Szenen. Sicherlich ist auch Humor Teil der Inszenierung, aber eben nicht ihr Leitmotiv. Lenz ist ein zutiefst verunsicherter, dem Tod näher als dem Leben stehender Mensch, dessen Depressionen und Wahnvorstellungen ihn von innen auffressen. Da steht die Aussage der Studentin Lena Lie Nomyen dann auch stellvertretend für die Absurdität der Rezeption: „Es war schon ganz schön seltsam, aber witzig fand ich es“, sagt sie so, als wolle sie noch Salz in Wibergs Wunden streuen.

Nichtsdestotrotz ist Armin Petras’ „Lenz“ in Oslo ein Erfolg. Denn wie er drei Sprachen zu einem sinnvollen Ganzen, vier Schauspieler zu einem einzigen, glaubhaften Protagonisten verschmelzen lässt – das ist groß und für Norwegen der notwendige theatrale Fingerzeig in die richtige Richtung.