KAI SCHÖNEBERG ÜBER DIE FÜHRUNGSKRISE BEI SIEMENS
: Opfer der Börsenlogik

Volkswagen gilt mit einer Umsatzrendite von 6 Prozent als relativ gesund, niemand denkt daran, den Chef zu feuern. Der Springer-Verlag verkauft einen Großteil seiner Zeitungen und Zeitschriften – trotz einer Umsatzrendite von 20 Prozent. Und Peter Löscher, Chef von Deutschlands größtem Mischkonzern Siemens, muss gehen, weil er nicht wie angekündigt 12 Prozent Umsatzrendite erwirtschaftet.

Sogar die Kanzlerin mischte sich am Montag in den Sorgenchor um das „Flaggschiff der deutschen Wirtschaft“ ein. Siemens wankt. Das liegt am Intrigenstadl in München. Und es liegt an ICEs der dritten Generation, die nicht geliefert werden, an der stockenden Anbindung von Offshore-Parks, an Fehleinschätzungen beim Bau von Transformatoren.

Vor allem aber hat die gnadenlose Kurzsichtigkeit der Börsen das Unternehmen in die Bredouille gebracht. Die Berichtspflichten verdonnern Konzerne auf das Erreichen kurzfristiger Unternehmensziele. Die Entwicklung von Kraftwerken und Hochgeschwindigkeitszügen dauert jedoch Jahrzehnte. Der geschasste Siemens-Chef Löscher hat die Solarsparte daher lieber abgestoßen, anstatt zum Weltmarktführer bei solarthermischen Kraftwerken zu werden. Und was wird wohl aus der neu strukturierten Siemens-Sparte Städte und Infrastruktur, die einfach nicht ins Laufen kommt?

Im Riesenreich ruckelt es an vielen Ecken. Aber Siemens dürfte dieses Jahr immer noch rund 4,5 Milliarden Euro Gewinn einfahren. Löschers Nachfolger Joe Kaeser steht viel Detailarbeit ins Haus, vor allem muss er Siemens wieder auf Augenhöhe mit dem US-Rivalen GE bringen.

Also: Ja, die Deutschland AG wackelt mal wieder – aber die deutsche Wirtschaft entwickelt sich derzeit immer noch erstaunlich gut.

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