Ein Herz für Wiese

Werder Bremens Torwart Tim Wiese verspielt die Champions League und wird zum romantischen Helden

Jetzt werden wieder alle über ihn herfallen: Tim Wiese, der Angeber, der Sonnenstudiogeher, der Goldkettchenträger mit einer Überdosis Haargel auf dem Kopf, der, nur um aufzufallen, das schlimmste rosafarbene Trikot trägt, das die Liga je gesehen hat. Wiese hat dieses Image am Dienstagabend in einer Weise überbestätigt, die selbst in seinen Kritikern auf einem Schlag ein Herz für Wiese wachsen lässt.

88 Minuten lang war Wiese im Stadio delle Alpi Weltklasse, eine Sekunde Kreisklasse: Ein harmloser Flankenball kommt in den Strafraum gesegelt. Der Werder-Torwart, der bis dahin Granate um Granate bravourös entschärft hatte, fängt sicher. Aber dann vollführt er eine tollkühne Hechtrolle. Als Kind zu viel Boris Becker gesehen, vielleicht. Der Ball purzelt ihm aus den Armen, Emerson haut ihn humorlos ins Werder-Tor. Ausgeschieden. Alles vorbei. 2:1 für Juventus Turin. Zwei Minuten vor dem Ende alles verspielt: Sympathien. Respekt. Und, grob geschätzt, drei Millionen Euro.

Noch mal in Zeitlupe: Tim Wiese hat den Ball an die Brust gedrückt. Dann ein kurzes Zögern: Soll ich? Er schmeißt sich hin. Da will er Zeit schinden, mutmaßt Premiere-Kommentator Fritz von Thurn und Taxis. Aber weit gefehlt. Wiese hat es für die Galerie getan. Da hilft kein Leugnen. Für die Mädchen im zweiten Rang. Plötzlich war er wieder 13, Torwart der Klassenmannschaft. Wie die Mädchen den Atem anhalten würden, wenn er sich in die Schlacht wirft! Ein romantischer Held.

Perfekt hat er die Vorstellung gemacht, indem er sich nach dem Spiel mit seinen Riesenhandschuhen ein paar Tränen aus den Augen gewischt hat. Ein ganzer Mann: harte Schale, weicher Kern. Wie einst Schumi.

Die Geste kommt an: „Die Bild“-Reporterin Ursula Vielberg, zum internationalen Frauentag ausnahmsweise an die Champions League herangelassen, beginnt ihren Bericht mit einem „Oh, nein!“. Welch‘ Tragödie! Was für ein Kerl! Konsequenterweise hat die Bild-Frauenredaktion Tim Wiese die selten vergebene Note eins zuerkannt, als Dank für das Spektakel. Den Unglücksraben kann das nicht trösten. „Vielleicht springe ich auch vom Balkon ...“, soll er nach dem Spiel gesagt haben. Hoffen wir, dass er im Erdgeschoss wohnt. Dann wollen wir noch mal die Hechtrolle sehen. Mit Anlauf. jank