Kestnergesellschaft
: Erik Bulatov: „Freiheit ist Freiheit“

Jeder hat ihn verlacht, den sozialistischen Realismus. Die parteipolitischen Losungen in überdimensionierten Lettern, die Monumentalgemälde, auf denen Bauer, Arbeiter und Intellektueller entschlossen einer nahen Zukunft entgegen blicken. Menschen, vom Sozialismus berauscht wie von einer Lifestyledroge.

Jenseits der aufdringlichen Akkumulation der Symbole durfte es keine Kunst im Sowjetreich geben. Jenseits konnte man nur im Abseits des Atelierhinterstübchens arbeiten. Wie der heute 72-jährige Erik Bulatov. Er gilt als der bedeutendste Maler der offiziell geächteten, weil nach eigenständiger Ästhetik strebenden Künstler Moskaus, die seit den sechziger Jahren die Staatskunst zitieren, ironisieren und damit analysieren. Ihren Borschtsch aber mussten die Künstler etwa mit der Illustration botanischer Bücher verdienen.

Hinter Bulatovs Malerei steht das Bekenntnis zu einem suchenden, melancholischen Sein, das in der russischen Avantgarde der 20er Jahre seine ästhetischen Wurzeln erkennt. In der Kestnergesellschaft ist dem seit der Perestroika in Paris lebenden Künstler erstmals seit 1988 eine Einzelausstellung in Deutschland gewidmet: „Freiheit ist Freiheit“. Der Titel bezieht sich auf ein typisches Bulatov-Bild, in dem sich abstrakte und illusionistische Malerei, Sprache und Bild gleichberechtigt mischen. Auch wenn man die Schrift auf dem Gemälde nicht lesen kann, findet man immer jemanden, der Kyrillisch ins Deutsche übersetzen hilft. So ist zu erfahren, dass auf der quadratischen Leinwand siebenmal formatfüllend untereinander „Freiheit ist“ steht. Schwarz auf Weiß. Buchstaben wie Gefängnisgitter, die explosionsartig durchbrochen werden von einer Himmel-Ansicht. Auf der in die Tiefe stürzenden Perspektive steht „Freiheit“. Weiß auf Blau.

Wir interpretieren: Die Freiheitsdefinition der Politik verdeckt den Blick auf den unendlichen Himmelhoffnungsraum, den die „wahre“ Freiheit nun wiederum utopisch öffnet. Ebenso versperrt auf einem anderen Bild der signalrote Schriftzug „Ruhm der KPDSU“ den Blick auf den Himmel. Genauso verdecken in „Louvre, Gioconda“ rot eingefärbte Besucherscharen den Blick auf die Mona Lisa: Kunst als Tourismusspektakel statt stiller Betrachtung.

So hat Bulatov eine Ausdrucksform gefunden, die den sozialistischen Realismus stilistisch und inhaltlich transformiert. In den aktuellen Gemälden komponiert er Buchstaben und Wortbedeutungen zu Wortbildern. Da steht „Wasser floss“ so auf einer blauen Fläche, als ob die Buchstaben von links unten nach rechts oben fließen würden. Bulatovs Schlusspointe der Ausstellung und seiner Entwicklung: ein mit Öl-Acryl-Pastellauftrag vielschichtig schwarz gestaltetes, wie von innen erleuchtetes Gemälde („Punkt“) mit einem Millimeter kleinen weißen Punkt in der Mitte. Selbst aus 20 Metern betrachtet glüht der Lichtpunkt noch und öffnet einen visionären Raum. fis

täglich 10–19, Do bis 21 Uhr; Mo geschlossen; bis 28. 5.