Schweifende Produzenten

Bloß kein zahmer Zeigerealismus: Das Filmfestival „Globale“ betreibt das kritische Mapping der Globalisierung – und überwindet mit seinem „Neoliberalismus“-Fokus die Darstellungsproblematik

VON BERT REBHANDL

Die Globalisierung ist ein Prozess, in dem der Kapitalismus sein Gesicht verliert. Er wird abstrakt in dem Maß, in dem er sich dem Zugriff der Nationalstaaten entzieht. Konkret wird er dort, wo er Menschen vor Ort in (billigere) Arbeit bringt, während anderswo Stellen verloren gehen. Die Globalisierung bringt es mit sich, dass Produktivitätsgewinne in Thailand mit Entlassungsproduktivität in Deutschland verrechnet werden können, häufig in derselben Firmenbilanz.

Dieser Prozess erzeugt seine eigenen Repräsentationsprobleme – die Gleichzeitigkeit von Vorgängen an unterschiedlichsten Orten muss dargestellt werden, die Komplexität der Kausalwirkungen, das Chaos und die Ordnung der Verflechtungen. Ein Festival wie die Globale, das globalisierungskritische Filmfestival im Acud, zeichnet durch die Auswahl der gezeigten Filme eine Weltkarte der Globalisierung und stellt mit der Heterogenität der Beiträge zugleich die Darstellungsprobleme vor. Denn aus dem bloßen Nebeneinander von Beiträgen über Arbeiterdemonstrationen in den Armenvierteln von Beirut („Leaded/Unleaded: The State Unleashed“ von Afamia Kaddour) oder über Ghetto-Musiker in Kolumbien („Beatbox Colombia“ von Dirk Lienig) erhellt sich noch nichts. Es bedarf schon eines Interpretationsrahmens, um den eigentlich ganz neutralen Begriff der Globalisierung so zu bestimmen, dass er diesem Festival seine Tendenz gibt.

Der Begriff Neoliberalismus eignet sich dafür, bezeichnet er doch die zunehmende Vermarktung von Zusammenhängen, die eigentlich besser vom Gemeinwesen getragen werden sollten. Die Versorgung mit Wasser fällt darunter. Die Globale 06 widmet den zahlreichen Auseinandersetzungen darüber, wer mit dem Wasser Geld verdienen darf, einen Schwerpunkt. Die neuen, noch vielfach unregulierten Märkte in den Ländern, die auf der „Schwelle“ zum Industriestaat stehen, müssen ebenfalls dokumentiert werden. Die Volksrepublik China zieht dabei das Interesse sowohl der Investoren wie der Globalisierungskritiker auf sich, weil dort Standards unterlaufen werden, um Globalisierungsgewinne zu lukrieren. Das neunstündige Transformationsepos „Tie Xi Qu“ von Wang Bing zeigt eindringlich, wie eine ganze Region im Nordosten Chinas in die Agonie der Schwerindustrie verfällt.

Für den Österreicher Michael Glawogger („Megacities“) haben derlei Phänomene vor allem einen ästhetischen Reiz. Er zeigt in „Workingsman’s Death“ an fünf Orten der Welt, wie die schwere körperliche Arbeit überlebt – beim halb privaten Ausbeuten von Minen in der Ukraine, beim öffentlichen Schlachten von Tieren in Nigeria, bei der Zerlegung ausrangierter Schiffe in Pakistan, in den Schwefelminen von Indonesien und in den chinesischen Stahlwerken. „Workingsman’s Death“ erscheint wie ein Arbeitermuseum, der Film atmet den Geist der Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts, als noch eine koloniale Ordnung galt und primitive Produktionsbedingungen noch nicht an weit entfernten Orten aufgesucht werden mussten.

Mit seinem Desinteresse an ökonomischen Zusammenhängen, das er durch Bilderreichtum kompensiert, ist Glawogger eigentlich ein untypischer Filmemacher für die Globale 06. Denn viele der ausgewählten Arbeiten wählen einen unorthodoxen Zugang, häufig sind sie mit Low oder No Budget produziert und zählen sich ausdrücklich zu einer dissidenten Filmwirtschaft, die eben keinen Anteil an dem Zeigerealismus hat, der die fernsehkompatiblen Dokumentationen bestimmt. Die eigentliche Stärke der Globale 06 liegt genau darin, dass sie dieses Feld kennt, dass sie dort eine Menge Beiträge auftut, die sonst niemals die engen Grenzen der engagierten Gruppen verlassen würden.

Genau an der Grenze zwischen diesen Bereichen steht der Filmessay „Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen?“ (s. taz vom 4.3.) des Österreichers Gerhard Friedl. Er lässt die Namen sämtlicher westdeutscher Nachkriegskapitalisten Revue passieren: Stinnes, Thyssen, Flick, Oetker. Otto Wolff von Amerongen selbst war von 1969 bis 1988 Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, und als solcher schon neoliberal, als dieser Begriff noch nicht in aller Munde war. Gerhard Friedl lässt in seinem Film einen Mann mit der vokalen Autorität eines „Tagesschau“-Sprechers einen Text verlesen, der sich anhört, als hätten Die Bunte und das Handelsblatt zusammen eine Geschichte der westdeutschen Nachkriegswirtschaft verfasst. Dazu gibt es anonyme Bilder von Fabrikhallen, Geschäftsstraßen, Schließfächern. Der Gesamteindruck bleibt rätselhaft und provokant.

Für seinen ein wenig altmodischen Versuch, den Kapitalismus über die Kapitalisten zu erwischen, bekam Gerhard Friedl im Vorjahr einen Preis auf der Diagonale, dem österreichischen Filmfestival. Bei der Globale steht er nun in einem Zusammenhang, in dem er seine Qualitäten noch besser zeigen kann: Denn Friedl gibt dem Kapitalismus das Gesicht der historischen Porträtaufnahme, eine Darstellung, aus der nicht viel mehr hervorgeht als eine gewisse Stimmung der Dekadenz. Mit seinen langen Kamerafahrten durch europäisches Niemandsland wird Friedl zu einem Situationisten der neoliberalen Veränderungen – er sucht sie in der Abschweifung einer Bewegung, die auf kein Zentrum mehr hinausläuft.

Globale 06 bis 16. 3. im Kino Acud, Veteranenstraße 21; Programm unter www.globale-filmfestival.de