Das Internet ist überall

Jahrelang wurde auf der Cebit die Konvergenz der elektronischen Medien angekündigt, nun ist sie da: Das Fernsehen kommt aus der Telefondose, telefoniert wird über das Internet, die Handys werden zu Internet-Computern. Und der Anwender ist verwirrt

VON TARIK AHMIA

Ab heute ist die Welt der elektronischen Medien in Aufruhr. In Hannover beginnt die weltweit größte Computermesse, doch niemals zuvor in der zwanzigjährigen Geschichte der Cebit stand die Neuaufteilung der elektronischen Medien so sehr zur Disposition wie dieses Jahr. Grund sind die Fortschritte in der Computertechnik, die sich Jahr für Jahr immer mehr Medien einverleibte.

Jedes Gerät kann alles

Der Datenstrom aus Bits und Bytes überträgt heute alle Formen audiovisueller Daten, sei es Telefon, Fernsehen oder Internet. Damit werden die bisher nebeneinander existierenden Infrastrukturen überflüssig. Viele Unternehmen wildern auf bislang unbekanntem Terrain: Die Telekom bietet Fernsehsendungen über Telefonleitungen an, Kabelbetreiber werden zu Telefonanbietern, und Mobiltelefonanbieter werben Festnetzkunden ab.

Auch bei den Geräteherstellern ist der Verteilungskampf voll entbrannt: „Das Wichtigste ist, gegenüber PC-Herstellern zu gewinnen“, sagt Fumio Ohtsubo, Chef des weltgrößten Unterhaltungselektronikhersteller Mitsubishi. „Für die Computerindustrie und Hersteller von Unterhaltungselektronik gelten dieselben Bedingungen.“

Mit Macht drängen die Gerätehersteller auf der Cebit mit neuen Geräten auf den Markt, die alles können sollen: „Triple-Play“ lautet das Schlagwort, das in diesem Jahr die Marschrichtung für die Konvergenz der Medien bestimmt. Damit ist gemeint, dass Fernsehen, Telefon und Internet in nur einem einzigen Datenstrom übertragen werden, der auf dem Internet Protokoll (IP) basiert. Damit kann man auf dem Fernseher gleichzeitig einen Film anschauen, im Internet surfen und telefonieren.

Entscheidende Veränderung für das Fernsehen ist dabei dessen Ergänzung um einen Rückkanal für den Zuschauer. Der Rückkanal eröffnet neue Formen der Zuschauereinbindung. Matthias Peissner vom Zentrum für Human Computer Interaction am Fraunhofer-Institut für Arbeitsorganisation (HCI) in Stuttgart rechnet mit positiven sozialen Auswirkungen des interaktive Fernsehens. „Für viele Alte und Behinderte ist der Fernseher der wichtigste Kanal in die Außenwelt“, sagt Peissner. „Durch den Internetrückkanal könnten diese Menschen einfacher mit anderen Kontakt aufnehmen und in ein soziales Umfeld eingebunden werden.“ Die Fernsehindustrie experimentiert derzeit noch kräftig an Angeboten für interaktives Fernsehen – mit teils zweifelhaftem Erfolg. So können Fußballfans nach der Vorstellungen der Firma Alcatel bei missliebigen Schiedsrichterentscheidungen bald virtuelle Bomben auf das Spielfeld schmeißen oder mit dem System „My Own TV“ über das Datennetz selbst produzierte Fernsehsendungen verbreiten. Der Offene Kanal lässt grüßen.

Wer soll das bedienen?

Noch mehr als bisher entwickeln sich Handys zum Universalwerkzeug. Die neue Gerätegeneration bietet die Funktionen von Triple Play – integriert in ein kleines, mobiles Gerät.

Doch bei all diesen tiefgreifenden Veränderungen fragt man sich, was eigentlich der Kunde davon hat. Sind die meisten Handynutzer nicht schon heute damit überfordert, den Klingelton ihres Telefons zu ändern? Was sollen sie dann noch mit Dutzenden neuer Funktionen – und wie sollen sie diese Geräte bedienen? Forschern aus Industrie und Wissenschaft ist dieses Problem bewusst. Sie wollen die Bedienung der zunehmend komplexeren Geräte dadurch vereinfachen, dass sie mit allen menschlichen Sinnen bedient werden können (siehe Interview).

Wenn das Handy peinlich wird

Einer der wichtigsten Durchbrüche auf diesem Gebiet dürften in diesem Jahr die ersten Handys sein, die spontan gesprochene Sprache verstehen. Auf der Cebit sind Geräte zu sehen, die eine umfangreiche Spracherkennung bereits eingebaut haben – bis zu 30.000 Wörter umfasst ihr Vokabular. Die Sprachsteuerung dient nicht nur zur Bedienung des Gerätes mit Kommandobefehlen, sondern soll auch zum Diktieren von E-Mails oder SMS taugen. Sie muss auch nicht mehr wie früher auf eine bestimmte Stimme trainiert werden und soll dennoch bis zu 94 Prozent der gesprochenen Sätze verstehen. „Es war ein gewaltiger Prozess, diese Technik von großen Computern für das Handy anzupassen. Heute sind die Geräte leistungsfähig genug“, sagt Wolfgang Wahlster, Chefentwickler der Technik und Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI). Über 100 Forscher, 15 Hochschulen und 4 Unternehmen haben seit 1993 an der Spracherkennung gearbeitet.

Vom DFKI stammt auch eine weitere Entwicklung, die unseren Umgang mit dem World Wide Web revolutionieren soll: „Smart Web“ heißt das System, dass Wahlster als „ein Super-Google, sprachgesteuert auf dem Handy“, beschreibt. Diese Entwicklung versetzt das Handy in die Lage, gesprochene Fragen zu verstehen, selbstständig im Internet nach Antworten zu suchen und die Antworten in gesprochene Sprache umzuwandeln. Eine erste Smart-Web-Anwendung wird es zur Fußball-WM geben: Der mobile Informationsassistent liefert Informationen zu den Spielen, Reiseunterstützung in den Spielorten und Information zur Verkehrssituation. Aber auch Fragen wie „Wo ist hier im Umkreis von 5 Kilometern die günstigste Tankstelle für Superbenzin?“ soll das System befriedigend beantworten können.

Ob Sprachsteuerung die Lösung aller Benutzerprobleme ist, darüber streiten die Experten noch. Matthias Peissner vom Fraunhofer-Institut glaubt, die Bedienung mittels gesprochener Sprache könne schlicht an der Akzeptanz scheitern: „Der Erfolg von SMS liegt nicht zuletzt daran, dass man öffentlich über einen nichtakustischen Kanal kommunizieren kann“, sagt Peissner. Insbesondere bei den als Zielgruppe wichtigen Jugendlichen könnte Sprachsteuerung dazu führen, dass „man sich vor seinen Kumpels blamiert“. Besser wäre es, die wichtigen Funktionen einfacher bedienbar zu machen.

Wohin guckst du?

Peissner und seine Fraunhofer-Kollegen präsentieren auf der Cebit Alltagsgegenstände, die als Eingabegerät genutzt werden können. Dazu gehört zum Beispiel eine Kaffeetasse, mit der die Lautstärke der Stereoanlage reguliert werden kann. Eine Kamera an der Zimmerdecke erfasst den Winkel des Henkels an der Kaffeetasse und verändert je nach Position der Tasse die Lautstärke der Stereoanlage. Ein andere Kamera im Wohnzimmer ermittelt die Blickrichtung einer Person. Je nachdem, ob dieser Mensch gerade auf den Fernseher oder die Hi-Fi-Anlage blickt, wirkt sich die Lautstärkeänderung auf das fixierte Gerät aus. Ähnliche Anwendungen werden auch für den Operationssaal und für Autos entwickelt. In Arbeit ist in Stuttgart auch eine PC-Steuerung, die komplett blickgesteuert funktioniert.