„Die Frauen sind unzufrieden“

Hiltrud Breyer, grüne Abgeordnete des Europaparlaments, kritisiert den neuen Brüsseler Fahrplan zur Gleichstellung der Geschlechter: Altes wird darin nur neu aufgelegt

taz: In ihrem neuen Aktionsfahrplan zur Gleichstellung der Geschlechter will die EU-Kommission dafür sorgen, dass „der Gleichstellungsaspekt künftig in allen Politikbereichen berücksichtigt wird“. Dieses sogenannte gender mainstreaming gehört schon lange zu den Querschnittsaufgaben der EU-Politik. Warum wird es jetzt von der Kommission neu erfunden?

Hiltrud Breyer: Es wird nicht neu erfunden, sondern neu aufgelegt. Damit will die Kommission zudecken, dass diese Roadmap nur ein Sammelsurium von Allgemeinplätzen und bereits bekannten Initiativen ist. Es gibt leider einen Stillstand in der Gleichstellungspolitik. Die EU-Kommission war ja bislang ein Vorreiter, zum Beispiel bei den Unisex-Tarifen bei Versicherungen oder bei der Gleichstellung am Arbeitsplatz.

Brauchen wir mehr europäische Gleichstellungsgesetze?

Es fehlt auf EU-Ebene ein Gesetzesvorschlag, der sich mit der Gewalt gegen Frauen befasst. Der Schwerpunkt müsste bei Menschenrechtsverletzungen gegen Migrantinnen liegen. Die Roadmap gibt keinen Hinweis, dass die Kommission so etwas plant.

Justizfragen müssen vom Rat einstimmig beschlossen werden …

Bei anderen Themen wie Drogenbekämpfung sind die Regierungen auch bereit, grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten. Die letzte Kommission hat bei der Gleichstellung auch gegen Widerstände viel bewegt. Unisex-Tarife sind gegen den Willen der rot-grünen Bundesregierung durchgesetzt worden.

Die Bürger haben den Eindruck, dass Brüssel schon zu viel in die nationalen Eigenheiten hineinregiert.

Im Gegenteil. Die Frauen sind unzufrieden damit, dass zu wenig aus Brüssel kommt. Es ist kein Zufall, dass bei den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden mehr Frauen als Männer den Verfassungsvertrag abgelehnt haben.

Der schwedische Innenminister schlägt vor, Deutschland solle Freier mit Strafe bedrohen, das habe sich in Schweden bewährt. Dann sei Schluss mit Verrichtungskabinen neben dem Fußballstadion und mit importierten Zwangsprostituierten. Sollen schwedische Prostitutionsgesetze für ganz Europa her?

Wir sollten EU-weit über Sanktionen für Freier nachdenken, die wissentlich Zwangsprostituierte benutzen. Das sollte genauso gesetzlich geahndet werden wie Zwangsehe, weibliche Genitalverstümmelung, die sogenannten Ehrenmorde und andere Menschenrechtsverletzungen bei Migrantinnen. Vor allem die EU-Kommission könnte hier großen Einfluss nehmen, indem sie entsprechende Projekte unterstützt.

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass die Unterschiede zwischen Frauen und Männern hinsichtlich der Erwerbstätigkeit oder der Löhne von Land zu Land noch immer sehr groß sind. Wäre es nicht Aufgabe der Länder, die zurückliegen, an ihren nationalen Politiken etwas zu ändern und den Geschlechteraspekt stärker zu berücksichtigen?

In Deutschland haben wir immer noch das Ernährermodell. In Schweden oder Frankreich gibt es das nicht. Was Sozialgesetzgebung oder Aufteilung der Familienarbeit angeht, könnten wir von unseren Nachbarn lernen.

In diesen Bereichen muss die Kommission auf die Kraft des guten Beispiels bauen, weil sie über keine gesetzliche Kompetenz verfügt. Hat sich das als zu schwach erwiesen?

Wir brauchen eben auch Gesetze. Ehegatten-Splitting zum Beispiel ist ein Verstoß gegen den Grundsatz: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Leider ist die Gesetzesinitiative der Kommission vom Bundeskanzleramt ausgebremst worden. Aber Brüssel muss an dem Thema dranbleiben und auf der Gleichbehandlung, die ja in den Verträgen verankert ist, bestehen. INTERVIEW:
DANIELA WEINGÄRTNER