„Das Ende der Spirale ist bei null“

Vor dem Ende des Jahrzehnts ist kein Ende des Steuerwettlaufs nach unten in Sicht, meint Regierungsberater Wolfgang Wiegard. Er will das Beste daraus machen: Niedrige Steuern hielten die Unternehmen im Land und brächten Wachstum

INTERVIEW HANNES KOCH

taz: Beim Mittagessen haben Sie Bundeskanzlerin Angela Merkel zuletzt erklärt, wie die Bundesregierung die Steuern für Unternehmen senken kann. Dabei tragen die Konzerne in Deutschland schon heute weniger zu den Einnahmen des Staates bei als zum Beispiel in den USA. Ist es da nicht widersinnig, die Gewinnsteuer weiter zu reduzieren?

Wolfgang Wiegard: Nein. Denn bei uns gibt es viel weniger Aktien- und andere Kapitalgesellschaften als in den USA oder Frankreich. In Deutschland haben mehr als 80 Prozent der Firmen die Rechtsform der Personenunternehmung und unterliegen deshalb der Einkommensteuer. Deshalb ist es kein Wunder, dass die deutschen Finanzämter weniger Körperschaftsteuer von ihren Großunternehmen bekommen.

Trotzdem profitieren doch deutsche Konzerne von gigantischen Löchern im Steuerrecht.

Diese Ansicht ist nicht ganz falsch. Deutsche Konzerne, die international tätig sind, bezahlen in aller Regel nicht die 39,4 Prozent Steuer vom Gewinn, die der deutsche Staat im Durchschnitt verlangt – sondern weniger. Sie können ihre Gewinne leicht ins Ausland verlagern. Dorthin, wo der Steuersatz niedriger liegt als bei uns.

Warum soll Finanzminister Peer Steinbrück also die Belastung weiter senken – wäre nicht das Gegenteil richtig?

Nein, der hohe deutsche Steuersatz von 39,4 Prozent wirkt ja gerade als Anreiz, dass die Unternehmen ihre Gewinne beispielsweise in Irland versteuern. Dort verlangt der Staat nur 12,5 Prozent. Deshalb muss unser Steuersatz auf ein international konkurrenzfähiges Niveau sinken – auf rund 25 Prozent. Dann macht es für Unternehmen weniger Sinn, ihre Gewinne zu verschieben.

Vielleicht gibt es Wege, die deutsche Besteuerung effektiver durchzusetzen – wie in den USA. Wenn ein US-Unternehmen seine Gewinne aus einem Niedrigsteuerland in die USA zurückholt, muss es nachzahlen. Deutschland verzichtet auf die Nachzahlung. Warum?

Das hat die Bundesregierung in ihren so genannten Doppelbesteuerungsabkommen mit den anderen Staaten so festgelegt.

Die könnte man ändern.

Ja, aber das würde sehr lange dauern. Deshalb ist es keine realistische Möglichkeit.

Sie wollen die Steuersätze für deutsche Unternehmen senken, damit diese ihre Gewinne wieder zu Hause versteuern?

Richtig. Weil der Anreiz zur Steuerverschiebung schwächer wird, bliebe mehr Geld bei uns und schließlich würden auch die Einnahmen des Staates wieder ansteigen.

Wie verträgt sich das mit Ihrer Berechnung, dass durch die Reform zunächst einmal 10 bis 20 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen hereinkämen?

Diese Schätzung berücksichtigt nicht, welchen Teil ihrer Gewinne die Unternehmen später wieder im Inland versteuern. Dafür gibt es keine seriösen Modellrechnungen.

Mehr Steuern durch weniger Steuern – eine schöne Hoffnung.

Sie ist aber nicht unrealistisch. Natürlich wirken sich niedrigere Steuersätze positiv auf Investitionen und Wachstum aus – manchmal auch auf das Steueraufkommen. Im Saldo rechne ich trotzdem mit Mindereinnahmen.

Wenn Deutschland runtergeht, werden auch andere Länder ihre Unternehmen weiter entlasten. Wo ist das Ende dieser Spirale?

Im Extrem würde international mobiles Kapital irgendwann mit dem Steuersatz von null belastet. So ist das Spiel.

Soll man aus diesem fatalen Wettlauf nicht lieber aussteigen?

Das wird schon probiert. Die europäischen Regierungen reden darüber, die Unternehmensteuern zu vereinheitlichen. Das wird kommen.

Wann denn?

Vielleicht am Ende dieses Jahrzehnts.

Und noch weiter in der Zukunft wird es einheitliche Unternehmensteuern in den größten Wirtschaftsregionen der Welt geben?

Das werde ich wohl nicht mehr erleben.

Schade.

Dazu bräuchten wir eine Art Weltfinanzamt mit einklagbaren Rechten. Eine Utopie.