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Archiv-Artikel

„Geschlecht wurde irrelevant“

FRAUEN IN DER RAF Die Historikerin Gisela Diewald-Kerkmann untersucht in ihrem Buch die geschlechtsspezifische Behandlung von Mitgliedern der RAF und der Bewegung 2. Juni seitens der deutschen Justiz

Gisela Diewald-Kerkmann

■ Privatdozentin für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Universität Bielefeld. Sie ist außerdem Diplompädagogin und promovierte über „Politische Denunziation im NS-Regime“ (Bonn 1995). Foto: privat

taz: Frau Diewald-Kerkmann, Sie untersuchen in Ihrem Buch die Strafprozesse gegen weibliche Mitglieder der RAF und der Bewegung 2. Juni. Wurden die Frauen grundsätzlich anders behandelt als die Männer?

Gisela Diewald-Kerkmann: Tatsächlich war das meine Ausgangsfragestellung. Ich ging davon aus, dass sich gerade im Kontext von Terroristenprozessen die Frage stellt, welche Rolle die Geschlechterdifferenz und überhaupt das Geschlecht als historische Kategorie spielen.

Dass in den Medien wie auch in der öffentlichen Terrorismusdiskussion gerade die Frauen aus der RAF und der Bewegung 2. Juni signifikant anders behandelt wurden, ist bekannt.

Sie galten als skandalträchtige Frauen, die als „neue Amazonen“ und „überemanzipierte“, „rücksichtslose“, „besonders gewalttätige“, „sexuell überstimulierte“, „enthemmte und abartige“ „Flintenweiber“ beschrieben wurden. Hierbei darf nicht unterschätzt werden, dass diese Frauen ein „doppeltes Verbrechen“ begingen. Sie verstießen nicht nur gegen Straftatbestände; sondern auch noch gegen traditionelle Geschlechterrollen.

Zu Beginn meiner Arbeit ging ich von der These aus, dass sich die besonderen Haftbedingungen primär gegen weibliche Mitglieder der RAF richteten. Allerdings kristallisierte sich im Lauf der Untersuchung ein anderes Ergebnis heraus. Insgesamt gilt es, festzuhalten, dass geschlechtsspezifische Wahrnehmungen und Deutungsmuster auf der Ebene der Justiz eine geringere Rolle spielten als zu Beginn angenommen.

Im Laufe des Prozessgeschehens wurde die Geschlechterdifferenz der Angeklagten immer stärker in den Hintergrund gedrängt. Letztlich wurde die Geschlechterdifferenz von anderen Kriterien überlagert. Angesichts des „Staatsnotstands“ schien das Geschlecht irrelevant geworden zu sein.

Schon in den 1970er-Jahren wurde der hohe Frauenanteil auf geschlechtsspezifische, biografische oder individuelle psychische Veranlagungen zurückgeführt. Was ist so irritierend daran, dass auch Frauen zu den Waffen griffen?

Dass Frauen überhaupt den bewaffneten Kampf aufgenommen und dem Staat den Krieg erklärt hatten, löste Unverständnis und Unsicherheit aus. Wie ein roter Faden zieht sich durch die öffentliche Terrorismusdebatte sowie durch die Ermittlungs- und Strafverfahren die Frage, warum gerade intelligente junge Frauen aus gutbürgerlichen Kreisen „Terroristinnen“ bzw. sogenannte Staatsfeinde werden konnten. Auffallend in diesem Kontext ist, wie subtil das Bild der gefährlichen „Topterroristin“ und kämpfenden Frau konstruiert wurde. In der öffentlichen Terrorismusdebatte wurde immer wieder auf die Folgen verwiesen, wenn Frauen von der „Normalität“ und traditionellen Geschlechterrollen abweichen.

Umso problematischer erscheinen mir individuell-biografische und psychologische Erklärungen für den Weg in die Illegalität. Diese Ansätze blenden nicht nur den zeithistorischen Kontext und den prozesshaften Charakter der Konflikte aus, sondern reduzieren die Teilnahme von Frauen an politisch motivierten Straftaten auf psychologische, pathologische und kriminelle Ursachen.

Das RAF-Mitglied Inge Viett soll einmal gesagt haben: „Wir haben uns einfach entschieden, und wir haben dann gekämpft und dieselben Dinge getan wie die Männer. Es war für uns keine Frage Mann/Frau.“ Deckt sich das mit Ihrer Untersuchung?

Ja, die Selbstdefinitionen der Frauen der RAF und der Bewegung 2. Juni legen den Schluss nahe – so lautet eine meiner Thesen in dem Buch –, dass sie sich nicht in erster Linie als Frauen, sondern als „Revolutionär“ und als „Kämpfer“ im bewaffneten Kampf verstanden. Die Identifikation mit der Aufgabe als Revolutionärin war entscheidend.

Für die meisten Frauen in der RAF schien es bedeutungslos zu sein, dass sie Frauen waren.

Gerade vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass nicht nur „Terroristinnen“ und „Terroristen“ im Fokus stehen – überhaupt erscheint mir ein primär personenorientierter Ansatz problematisch –, sondern vielmehr muss das Wechselverhältnis zwischen Politik, Justiz und RAF untersucht werden.

INTERVIEW: WOLFGANG GAST

Gisela Diewald-Kerkmann: „Frauen, Terrorismus und Justiz“. Droste Verlag, Düsseldorf 2009, 363 Seiten, 42 Euro