Berliner Platten
: Die Zukunft ist immer schon jetzt: Mit „Future Folk“ stellt sich das Label Stereo Deluxe vor, und bei Kitty-Yo will man den HipHop neu

„Futurism Ain’t Shit To Me 2“ (Kitty-Yo/Intergroove)

Ja, das ist dann wohl die Zukunft. Aber nein, ganz bestimmt nicht die Sorte Folk, die Räucherstäbchen verbrennende Wallekleidträgerinnen zu hören pflegten. Das ist „Future Folk“, zusammengestellt vom Berliner Label Stereo Deluxe. Die allzu offensichtlichen Vertreter eines neuen Folk-Begriffs sucht man allerdings vergeblich. Weder die Protagonisten der Quiet-is-the-new-loud-Bewegung noch welche des aktuellen Queer Folk haben den Weg auf die Compilation gefunden. Also keine Turin Brakes, keine Kings of Convenience, kein Devandra Banhart und keine Coco Rosie.

Stattdessen der Held mancher Kindheit: Captain Kirk. Der „Raumschiff Enterprise“-Schauspieler William Shatner und sein Sprechgesang sind ebenso vertreten wie die nahezu stillstehenden Akustikgitarren von The Postal Service, dem Nebenprojekt von Ben Gibbard von Death Cab For Cutie, oder die butterweichen elektronischen Ergüsse des Yellow-Magic-Orchestra-Gründers Ryuichi Sakamoto. Das New Yorker Animal Collective und ihr Drang zum Schrägen sind eher anstrengend, Hanne Hukkelberg aus Norwegen dagegen macht es einem einfach, wenn sie und ihr Kleinmädchencharme am Rande des Schmalzes entlangsegeln. Exemplarisch für das Konzept der Compilation kann der Beitrag von Finn, Hamburgs liebstem Trauerkloß, stehen: In „X + Variables“ versöhnt er wie gewohnt stahlblaue elektronische Beats mit freundlichem Gitarrengezupfe. Das Fazit ist denn wohl: Future-Folk, wie ihn die Leute von Stereo Deluxe verstehen, ist nicht so sehr ein Sound, sondern ganz entschieden ein Gefühl. Die 14 Tracks sind eher luftig als schwer, eher verträumt als bösartig, eher zart als zupackend. Aber, so gelungen die einzelnen Songs auch sein mögen, so stimmig die Zusammenstellung, mit Gefühlen ist es nun mal so: Oft sind sie halt einfach zu schwammig für ein Konzept.

An fast derselben Zukunft, jedenfalls an der Umsetzung alter Popkonzepte mit neuen digitalen Mitteln, arbeitet schon einige Zeit Kitty-Yo. Nach dem Ausstieg von Patrick Wagner, der seine Rockistenfantasien mit Louisville auslebt, erfindet die verbliebene Mannschaft auf „Futurism Ain’t Shit To Me 2“ den HipHop neu. Oder versucht es zumindest.

Nicht, dass Rap eine Inventur nicht bitter nötig hätte, und auch an der Auswahl der Songs gibt es nicht wirklich was zu mäkeln. Aber: Slum Village, Quasimoto oder andere der hier vertretenen Künstler versuchen schon so lang vergeblich an der Deutungshoheit des kommerziell erfolgreichen Pimp-und-Po-Rap zu rütteln, dass sie so versammelt eher wie ein trauriger Haufen von Verlierern wirken. Zweifellos sympathische Verlierer, Verlierer mit mitunter gewaltigem musikalischem Potenzial, wie auf 17 Stücken demonstriert wird. Aber halt Verlierer. So wird die im Titel apostrophierte Zukunft schon wieder so ein Gefühl. Diesmal: die Hoffnung auf bessere Zeiten.

„Future Folk“ (Stereo Deluxe/Edel)

Aber im Zweifelsfall gilt doch: Die Zukunft ist jetzt. Und wäre sie es nicht: Wäre sie nicht schon längst wieder Vergangenheit in dem Moment, in dem sie auf Compilations gefasst erscheint? THOMAS WINKLER