: Klassenkampf im Zug
VERKEHR Die Grünen in Schleswig-Holstein wollen die erste Klasse in Regionalbahnen abschaffen, die Trennung sei veraltet. Die Deutsche Bahn hält jedoch am Konzept fest
Die Regionalbahn ist Teil der DB Regio AG, dem Nahverkehr der Deutschen Bahn AG.
■ 90.000 Fahrgäste fahren täglich in 800 Zügen in Hamburg und Schleswig-Holstein.
■ Das Kontingent der ersten Klasse variiert in den Zügen. Der Schleswig-Holstein-Express etwa besteht aus sieben Wagen, sechs der zweiten und einer der ersten Klasse.
■ Ein Ticket der ersten Klasse ist 50 Prozent teurer als der Normalpreis.
■ Das Zweiklassen-System besteht seit 1956.
VON ANNIKA LASARZIK
Wer früher nicht viel Geld für ein Bahnticket aufbringen konnte, musste in der dritten Klasse auf Holzbänken sitzen – ohne Licht und Heizung. Und für Arme blieben noch die Stehplätze in der vierten Klasse. Diese Zeiten sind vorbei – heute gilt das Zweiklassen-System in deutschen Zügen.
Den Grünen in Schleswig-Holstein geht auch das noch zu weit. Sie fordern eine Abschaffung der Klassentrennung in der Regionalbahn. „Es kann nicht sein, dass Ruhe und Komfort nur den zahlungskräftigen Kunden zustehen“, sagt Tilmann Schade, Sprecher der Grünen Jugend in Kiel. Die Aufteilung in ökonomische Kategorien sei veraltet. „Nicht nur Geschäftsleute, auch Studierende mit geringem Einkommen brauchen einen ruhigen Platz zum Arbeiten“, sagt er.
Die Jugendorganisation hat den Stein ins Rollen gebracht, nun wird sie von ihrer Mutterpartei unterstützt. Grünen-Landeschefin Ruth Kästner spricht sich für einheitlich höheres Komfortniveau aus: „Bei einem attraktiven Nahverkehr, der allen Kunden einen Sitzplatz und Ruhe garantiert, stellt sich die Frage nach erster oder zweiter Klasse nicht mehr“, sagt sie.
Beim Fahrgastverband Pro Bahn ist man anderer Ansicht. „Undifferenziert“ sei die Forderung nach flächendeckender Abschaffung der Klassen im Bundesland, sagt der stellvertretende Landeschef Birger Wolter: „Nach der Abschaffung von Fernverkehrszügen müssen die Regionalbahnen auch Fernreisende bedienen, die auf Kurzzüge umsteigen. Für diese Kunden ist zusätzlicher Komfort wichtig“.
Dies betreffe vor allem die stark frequentierten Strecken zwischen Hamburg und Kiel, sowie zwischen Lübeck und Sylt. Zwar werde die erste Klasse auf einzelnen Strecken im Land nur „alibimäßig“ angeboten – auf den zentralen Routen sei die Nachfrage aber hoch. Wo dies nicht der Fall sei, werde das Angebot reduziert. Die landeseigene Verkehrsgesellschaft LVS kann das bestätigen: „In neueren Regionalzügen wird das Kontingent in der ersten Klasse bereits um die Hälfte reduziert“, sagt Sprecher Denis Fiedel. Ab 2014 solle der Komfort in der zweiten Klasse erhöht werden – etwa durch Arbeitsbereiche mit Steckdosen.
Doch Bahnkunden stört vor allem der Platzmangel und Lärm. Rieke Jürgensen lebt in Hamburg und stammt aus Kiel – diese Strecke fährt sie regelmäßig. „Es ist oft sehr voll und laut, dabei ist die erste Klasse fast immer leer. Zu Pendlerzeiten werden so Sitzplätze verschenkt“, sagt die Studentin. Dabei kann die Klassentrennung im Zug überwunden werden: Ob 1.-Klasse-Plätze im Fall eines überfüllten Zugs allen Gästen freigegeben werden, liege im Ermessen des Zugführers, sagt Egbert Meyer-Lovis, Sprecher der Regionalbahn Schleswig-Holstein. Geht es um die Abschaffung der Klassen, richte sich die Kritik bei der Deutschen Bahn ohnehin an die falsche Adresse: „Die Länder schreiben einen Verkehrsvertrag aus, indem die Platzverteilung vorgeschrieben ist. Hier ist also die Politik selbst gefragt.“
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