Jeder Satz eine Liebeserklärung

LITERATUR Hans Korfmann schreibt seit 15 Jahren auf, was er sieht: In der „Kreuzberger Chronik“

Schön bescheiden werden Menschen, Kneipen, Straßen in bester Manier porträtiert

Vor 15 Jahren machte sich ein eigenwilliger Journalist, der vor allem schöne Texte schreiben will, nicht an „Sex sells“ glaubt und den Rock ’n’ Roll für eine Erfindung hält, die um den 52,49. Breitengrad und den 13,43. Längengrad entwickelt wurde, (genauer: im Yorckschlösschen) – vor 15 Jahre also machte sich dieser schreibende Individualist, Hans Korfmann heißt er, daran, ein literarisches Anzeigenheftchen ins Leben zu rufen, die Kreuzberger Chronik. Schon der Titel könnte altmodischer nicht sein. Auf den 36 Seiten, DIN A5, schön bescheiden, werden (fast) jeden Monat Menschen, Kneipen, Straßen, Geschäfte in allerbester Manier porträtiert, beschrieben, gelobt, auch mal getadelt – selten zwar. Da Korfmann, der Gründer, Erfinder, Herausgeber, Anzeigenakquisiteur, der nebenbei für so qualitativ hochgelobt Postillen wie die Zeit, Mare oder Geo schreibt, fast alle Artikel, wenngleich unter wechselnden Namen, verfasst, ist literarische Qualität auf hohem Niveau garantiert.

Am Wochenende wird das Jubiläum diese Heftchens, von dem schon vor 15 Jahren monatlich 3.000 Exemplare gedruckt wurden, und bis heute sind es nicht mehr, in der Marheineke-Markthalle mit einer Ausstellung, mit Bier und Musike begangen.

Korfmann liebt die einfachen Leute. Ihnen gibt er in der Chronik eine Plattform. Der Friedhofsgärtner, der auch auf dem Friedhof wohnt, der türkischstämmige Rapper, der erst kriminell war, bevor er Sozialarbeiter wurde, die Designerin, die an jedes ihrer Kleidchen eine Rüschenborte häkelt, der Copyshopbesitzer, der Professor, der nie in der Alma Mater ankam, die Mongolin, die es in die Kneipe am Marheinekeplatz verschlagen hatte wie der Wind den Wüstenstaub nach Berlin. Wenn Korfmann über diese Leute schreibt – und die 144 anderen, die er ebenfalls porträrtiert hat – ist jeder Satz eine Liebeserklärung. Das Leben, das keine Schlagzeilen macht, ist voller Poesie. „Kleine Leute haben auch Geschichte. Man kann zeigen, wie schwer sie es haben“, sagt Korfmann.

Das Heftchen liegt kostenlos in Geschäften aus. Es wird einzig über Anzeigen finanziert und die Anzeigenkunden sind, anders als bei den kommerziellen Zeitungen, der Kreuzberger Chronik treu. Sie kaufen eine Ecke auf einer Seite und bekommen Herzblut dazu – unbezahlbares.

Und wer ist dieser Korfmann, der seit 15 Jahren durch den Kreuzberger Kiez zieht, dabei in den Geschichten, die er findet, die ganze Welt sieht? Er ist einer von ihnen. Er hat eine Biografie, in der man, würde man sie aufschreiben, Ziegenhirte auf Kreta, Hafenarbeiter in Berlin, Gymnasiast in Bochum und Chronist in Kreuzberg schriebe. Er widerspricht. „Ich bin kein Chronist“, unter solchen stellt er sich so was wie Standesbeamte vor, die Zahlenreihen notieren. Also gut: Korfmann ist ein Liebender, der seine Namen wechselt, nicht seine Begeisterung.

WALTRAUD SCHWAB

■ Ausstellungseröffnung: Samstag, 3. August, 15 Uhr, Marheineke-Markthalle, Kreuzberg