TREUEFORSCHUNG 1
: Die Legende vom Schwan

BERLIN | Höckerschwäne gehören mit zu den ersten Tieren, die in den Seen unserer Parkanlagen ihre „Wildheit“ von sich aus aufgegeben haben. Und man schätzt sie nicht nur ihrer Schönheit wegen. Sie haben, vor allem für ein bürgerliches Publikum, eine Vorbildfunktion: Sie gelten als treu. Schwanenpaare bleiben ein Leben lang verbunden, sagt man. Und wenn einer der beiden stirbt, verliert auch der andere seine Lebenslust. Die Schwäne stehen für eheliche Aufopferung, davon sind viele Wildbiologen überzeugt. Das Gegenteil ist jedoch ebenso wahr: Schwäne sind weder besonders treu noch monogam: „Nach meinen tiergärtnerischen Erfahrungen“, schreibt der Wasservogelforscher Oskar Heinroth, „sind Schwäne leicht umzupaaren, d. h. ein neues Männchen oder Weibchen wird nach dem Verluste des Gatten ohne Umstände angenommen“. Gelegentlich liieren sich die Schwäne auch mit einem gleichgeschlechtlichen Partner: „Dabei tun sich zwei Männchen zusammen und verhalten sich wie ein Paar: Sie treten sich, machen Anstalten zum Nisten usw.“ Der Sozialforscher Salm-Schwader sieht darin etwas „Vorbildliches“ – nicht unbedingt fürs bürgerliche Leben. (taz)