Das Geschoss von Budapest

Alle Ungarn lieben Overdose

VON JOHANNES KOPP

Seit Januar ist in dieser Region ein ganz großer Champion zu Hause. Nur hat das in der vermeintlichen Sportmetropole Berlin kaum einer mitbekommen – und das ist wahrscheinlich besser so. Aber dazu später. In Fachkreisen wird er „die Hochleistungsmaschine“, „das Sprintass“ oder einfach nur „das Geschoss von Budapest“ genannt. Zum Sportler des Jahres wurde er in Ungarn gewählt. Noch vor dem Schwimmweltmeister László Cseh und dem Kanu-Olympiasieger Attila Vajda. Das Besondere: Ungarns bester Sportler ist ein Pferd. „Overdose“ heißt der braune, fast fünfjährige Hengst, der nun unweit der Galopprennbahn Hoppegarten gehalten wird.

Keines seiner Rennen hat er bislang verloren. Deshalb scharen sich gar Ungarns ranghöchste Politiker um ihn. Jeder will mit dem Gaul fotografiert werden. Über Overdose ist bereits ein Buch – die Ungarn würden wahrscheinlich sagen: eine Biografie – erschienen. Der Vierbeiner gilt als der Hoffnungsträger einer von der Wirtschaftskrise besonders gebeutelten Nation. Kein Wunder also, dass die ungarische Botschaft, die Unter den Linden beheimatet ist, dem Wunderpferd eine Art Empfang bereiten wird. Overdose wird höchstpersönlich am 24. April dort erscheinen.

Bloß nicht einbürgern

Dass kaum einer in dieser Stadt davon weiß, ist nur gut. Berühmtheiten werden in Berlin ja im Blitzverfahren eingebürgert. Und das fänden die Ungarn gewiss nicht lustig. In Budapest haben nämlich die Chefs der größten Bank und eines Öl- und Gaskonzerns sowie weitere Wirtschaftsoligarchen Geld zusammengelegt, damit Overdose ungarisch bleibt. Eine ausländische Übernahme des rassigen Rennpferds wird befürchtet.

Man sollte in Berlin also höchst sensibel mit diesem galoppierenden nationalen Heiligtum umgehen. Dass Overdose in England geboren und aufgewachsen ist, tut für die Ungarn nichts zur Sache. Ein ungarischer Geschäftsmann hat das verkannte Sprintgenie einst für läppische 2.500 Euro gekauft. Seitdem ist es eben ungarisch. Ein Lehrbeispiel darüber, dass Nationen in erster Linie vorgestellte Gemeinschaften sind.