Was wir von Deutschland/Polen wollen
: KOMMENTAR VON CHRISTIAN SEMLER

In der Spätzeit der Regierung Schröder sah es danach aus, als wollten sich die Konflikte im polnisch-deutschen Verhältnis zu einer schwarzen, alles verdunkelnden Wolke zusammenziehen. Der Konflikt um das „Zentrum gegen Vertreibungen“ reaktivierte Stereotype und produzierte eine polnisch-deutsche „Konkurrenz der Opfer“. Und das ohne jede Konsultation mit Polen zustande gekommene Projekt der Ostsee-Pipeline ließ jenseits der Oder das alte Bedrohungsszenario – Polen, eingeklemmt zwischen Russland und Deutschland – wieder aufleben.

Obwohl auf der polnischen Seite Lech Kaczyński und seine nationalkonservative Partei keine geringe Verantwortung für die nationalistischen Exzesse der vergangenen Jahre tragen, scheint er als Präsident jetzt den Weg der Realpolitik einzuschlagen. Angela Merkel und er haben sich bei den beiden genannten Streitfeldern vernünftige Kompromisse zu Eigen gemacht. Kleinarbeit ist angesagt und Abstinenz bei der geschichtspolitischen Droge. Wenn sich der Dunst verzogen hat, wird man sehen, dass auf einer ganzen Reihe von Gebieten – von der Jugendarbeit über die Beziehungen auf kommunaler und Länderebene und die Firmenkooperation bis hin zur Wissenschaftsverflechtung – ein ziemlich dichtes Beziehungsnetz entstanden ist. Wenngleich noch zu viel staatlich angeschoben und alimentiert wird, um von einem polnisch-deutschen zivilgesellschaftlichen Zusammenhang sprechen zu können.

Endlich verflogen ist der unsägliche Beziehungskitsch, der es vor allem auf deutscher Seite so schwer machte, unterschiedliche Interessenlagen im polnisch-deutschen Verhältnis zu erkennen und zu akzeptieren. Betrachtet man die deutsche Geschichte, so folgte bislang auf jede enthusiastische Welle der Polenbegeisterung der Absturz, bestenfalls gefolgt von Desinteresse. So war es 150 Jahre lang von den deutschen Polenliedern nach dem Aufstand von 1832 bis zur Solidarność-Begeisterung von 1980/81. Es sollte künftig weniger von Freundschaft zwischen den Völkern die Rede sein – da ist meistens Falschgeld im Spiel. Sondern von der Freundschaft der Gleichgesinnten, die zum gegenseitigen Nutzen an gemeinsamen Projekten arbeiten.