Im Mursi-Lager herrscht nicht nur Einigkeit

ÄGYPTEN Angesichts der drohenden Räumung des Camps im Osten Kairos bleibt die Führung der Muslimbrüder hart. Doch andere Teilnehmer an der Protestaktion vor der Rabaa-al-Adawija-Moschee üben auch Kritik am abgesetzten Präsidenten und denken weiter

Nicht alle Demonstranten auf dem Platz gehören der Muslimbruderschaft an

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Bei den Demonstranten vor der Rabaa-al-Adawija-Moschee im Osten Kairos ist keine Anspannung zu spüren, auch wenn das Innenministerium mit der Räumung des Platzes beauftragt wurde. Am Donnerstag forderte es die Anwesenden zum Verlassen des Camps auf. Doch am Vorabend ließen sich Tausende friedlich zum Fastenbrechen auf der Straße nieder. Familien sitzen zusammen, ansonsten die Frauen und Männer getrennt.

Die Führung der Muslimbrüder, sofern noch auf freiem Fuß, hat sich in einen hinteren Raum der Moschee zurückgezogen. Dort bricht auch Mohammed al-Beltagi sein Fasten. Er ist neben Essam Erian einer der beiden Köpfe der Muslimbruderschaft, die noch in der Öffentlichkeit auftreten, auch wenn ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt wurde.

Al-Beltagi gibt sich unnachgiebig. „Wenn dieser Sitzstreik hier tatsächlich aufgelöst wird, dann werden wir auf hundert Plätzen im ganzen Land neue Proteste beginnen“, sagt er. Es gebe für ihn keine Lösung, ohne die Legitimität des Präsidenten zu akzeptieren. Die Massenproteste gegen Mohammed Mursi vor dessen Absetzung tut er als „vom Militärgeheimdienst fabriziert“ ab. „Mit blutigen Putschisten kann es keine Kooperation geben“, schließt er die Möglichkeiten von Verhandlungen mit der Übergangsregierung oder dem Militär aus.

Nicht alle auf dem Platz gehören der Muslimbruderschaft an. So mancher dort macht sich Gedanken, wie das Land wieder aus der Sackgasse kommen kann. Einer von ihnen ist Mohammed al-Gebba. Der 29-Jährige war seit seinem 17. Lebensjahr bei den Muslimbrüdern. Er hat für sie sogar 2011 im Delta als Parlamentsabgeordneter kandidiert. Aber kurz darauf ist er ausgestiegen.

Im missfiel, dass keine Frauen und jungen Leute in Führungspositionen der Muslimbrüder gelangen konnten. Und das, obwohl 80 Prozent der Mitglieder unter 30 Jahre alt seien. Er wollte mit seinen liberalen und linken Freunden einen gemeinsamen Nenner finden, wurde aber von der Führung zurückgehalten.

Auf den Platz ist al-Gebba dennoch gekommen. „Ein demokratischer Transformationsprozess und das Militär, dass passt einfach nicht zusammen“, beschreibt er seine Motivation. Al-Gebba kann den Ärger vieler Menschen auf die Muslimbrüder durchaus verstehen. Diese hätten während ihrer Herrschaft unverzeihliche Fehler gemacht, etwa, als sie versucht hätten, die Institutionen nur mit ihren Leuten zu besetzen. Aber dass viele Ägypter den Muslimbrüdern jetzt den Tod wünschen, das kann er nicht nachvollziehen. Auch nicht, das viele Liberale den Putsch unterstützen. „Es wäre besser gewesen, man hätte die Protest gegen Mursi weiterlaufen lassen bis hin zum Generalstreik“, meint er. Alles wäre einfacher gewesen, wenn Mursi frühen Präsidentschaftswahlen zugestimmt hätte.

„Mursi hat Fehler gemacht, aber soll jetzt das ganze Land dafür bestraft werden“, fügt er hinzu. Für al-Gebba ist Mursi als Präsident nicht mehr tragbar. „Er kann das Land nicht mehr führen und ist zu polarisierend“, meint er. Demonstranten wie al-Gebba sind einer der Gründe, warum das Prädikat „Pro-Mursi-Demonstration“ für die Proteste bei der Rabaa-al-Adawija-Moschee nicht mehr ganz richtig ist.

Dann ist das Fastenbrechen beendet. Al-Gebba entschuldigt sich zum Abendgebet und taucht wieder unter, in dieser Mischung aus Pro-Mursi-Anhängern und Anti-Putsch-Demonstranten, die symbolisiert, wie komplex die Lage in Ägypten ist. Aber die Zahl derer wächst, die sich nicht zwischen Militärchef Abdel Fatah al-Sisi und dem Muslimbruder Mursi entscheiden wollen. Auch wenn sie bisher eine noch kleine Minderheit bilden.