Kampfparolen zum Neujahrsfest

TÜRKEI In Diyabakir versammeln sich hunderttausende Kurden zu den traditionellen Newroz-Feiern. Kurdische Exabgeordnete Leyla Zana mahnt Selbstbestimmungsrecht an

„Das kurdische Volk hat viele Wunden“

KURDENPOLITIKERIN LEYLA ZANA

AUS DIYABAKIR CHRISTIAN JAKOB

Über eine Million Kurden haben am Sonntag im Südosten der Türkei das Neujahrsfest Newroz begangen. In der Provinzhauptstadt Diyabakir versammelten sich mehrere hunderttausend Menschen. Anders als in den Vorjahren hielt sich das Militär bis zum Nachmittag zurück. Polizisten bewachten nur die Zufahrtstraßen zum Festgelände im Süden der Stadt, ließen die Feiernden aber ungehindert passieren.

Hauptrednerin war die ehemalige kurdische Abgeordnete Leyla Zana. „Das kurdische Volk hat viele Wunden“, rief die von der türkischen Justiz mit einem lebenslangen Betätigungsverbot belegte Politikerin auf Kurdisch. Sie forderte die Feiernden auf, im Kampf für Selbstbestimmungsrechte nicht nachzulassen. Tausende jubelten ihr zu und schwenkten Fahnen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und Fotos des inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan.

Zana hatte bis 2004 zehn Jahre im Gefängnis gesessen, weil sie in der türkischen Nationalversammlung ihren Amtseid in der lange Zeit verbotenen kurdischen Sprache geleistet hatte. Wegen mehrerer politischer Auftritte in den vergangenen Jahren droht ihr nach eigenen Angaben nun erneut eine zwölfjährige Haftstrafe.

Der mit einem Reiseverbot belegte Bürgermeister von Diyabakir, Osman Baydemir, äußerte die Hoffnung auf eine Entspannung in der Region. „Newroz heißt Aufbruch“, sagte er. Auch gegen den Politiker der prokurdischen Partei BDP sind Verfahren anhängig, weil er die PKK ideell unterstützt haben soll.

Bei den Newroz-Feiern in den vergangenen Jahren gab es immer wieder schwere Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Zuletzt starben dabei 2008 zwei junge Kurden. Das Newroz-Fest wird vom türkischen Staat als Symbol für die kurdischen Autonomiebestrebungen betrachtet. Auch in diesem Jahr waren Zusammenstöße erwartet worden.

Die Lage im Südosten der Türkei ist angespannt, seitdem die Regierung in Ankara die Kurdenpartei DTP im Dezember 2009 hatte verbieten und über 1.500 Mandatsträger, Funktionäre und Parteimitglieder verhaften lassen. Bei Protesten gegen das Parteiverbot war im Dezember in Diyabakir der Student Eden Aydin von der Polizei erschossen worden. Alle übrig gebliebenen DTP-Politiker waren daraufhin der noch legalen Nachfolgepartei BDP beigetreten, die die Newroz-Feiern am Sonntag ausgerichtet hatte.

Trotz aller Verbote „steht das Volk hinter uns“, sagte der BDP-Chef von Diyarbakir, Cafer Kan. Auch er hat wegen Unterstützung der PKK bis 2009 zwölf Jahre in Haft gesessen. Am kommenden Freitag muss er sich erneut vor Gericht verantworten.