„Emotionaler und offener“

COACHING Die Natur fördert die Konzentration und Kreativität des Menschen, sagt Patrick Kempf. Deshalb geht der Natur- und Outdoor-Coach am liebsten in den Wald

43, hat Kultur- und Sozialwissenschaften studiert und arbeitet als systemischer Coach, Natur-Mentor und Wildnispädagoge in Hannover.  Foto: Claudia Klemm

INTERVIEW ANDREAS SCHNELL

taz: Herr Kempf, wie definiert man Naturcoaching?

Patrick Kempf: Es gibt verschiedene Spielarten. Meine Idee ist das Ergebnis aus der Kombination des systemischen Coachings, wie es an verschiedenen Schulen gelehrt wird und Mitte der achtziger Jahre aus den USA nach Europa kam, und der Arbeit in der Natur.

Was unterscheidet systemisches vom normalen Coaching?

Mithilfe der Systemtheorie wird geschaut, wie man Menschen in ihrer Entwicklung nachhaltig fördert, anstatt sie durch Anreize wie bessere Entlohnung kurzfristig zu motivieren. Bei mir gibt es die gleichen Phasen wie im „normalen“ Coaching: eine Orientierungsphase, eine Analysephase, eine Phase, in der stark analog gearbeitet wird, was bedeutet, das kognitiv Analysierte spürbar zu machen, um Dinge zu verankern. Hier, und damit kommen wir zum Naturcoaching, erlebe ich Menschen emotionaler und offener, wenn sie draußen sind. Es gibt einen erweiterten Blick, keine klimatisierten Räume, keinen Elektrosmog, kein Handy. Die Natur kommt ins Spiel, wenn ich der Meinung bin, dass Perspektivwechsel und Erweiterung des Blickfeldes es mir erleichtern, die Menschen dazu zu bringen, sich zu öffnen und mehr wahrzunehmen.

Werden sie draußen nicht eher abgelenkt?

Es gibt Studien, die nachgewiesen haben, dass Konzentrationsfähigkeit und Kreativität durch den Aufenthalt in der Natur gefördert werden. Mit meinem Ansatz möchte ich aber nicht nur in einem alternativen Setting zur Verfügung stehen, sondern den Menschen zugleich eine Wertschätzung zu ihrer eigenen Natur und eine Liebe zu unserer Umwelt zurückgeben – auch wenn es nur der Stadtpark ist.

Was passiert, wenn Sie mit den TeilnehmerInnen im Wald sind?

Für die einen ist es schon eine Herausforderung, barfuß über eine Wiese zu gehen. Mit anderen gehe ich vielleicht nachts zwei Stunden in den Wald und schicke sie mit einer Frage raus, um mit einem Baum zu sprechen. Vorher versuche ich zu vermitteln, dass die Dinge in der Natur wahrgenommen werden wollen. Das Extremste was ich kenne, ist eine Übernachtung in einer selbst gebauten Laubhütte. Das ist gut, wenn jemand in einem Coaching-Prozess ans „Eingemachte“ gehen will. Im Natur-Mentoring wird, wie bei vielen Naturvölkern auch, von „Baumleuten“ und „Pflanzenleuten“ gesprochen. Die Idee ist, dass der Mensch nicht als Krone der Schöpfung ganz oben steht. Das Gefühl dafür, dass alles um uns herum lebt und wir ein Teil von allem sind, hilft, die Menschen zu aktivieren und ihnen Selbstvertrauen zu geben.

Die Natur dient also als Stimulanz?

Ja, das ist ein guter Ausdruck. Das soll aber nicht heißen, dass ich die ganze Zeit mit Leuten im Wald übernachte. Die meisten hole ich an anderen Stellen ab.

Sie haben den Begriff Natur-Mentoring benutzt – was ist das?

Das ist eine Möglichkeit, seine Umgebung auf eine Art zu entdecken, die den Menschen nicht ausschließt, sondern ihm bewusst macht, dass alles zusammengehört und wir Teil eines großen Ganzen sind. Das hat mir gefallen und mich dazu bewogen, ein Jahr lang in einer Wildnisschule zu lernen. Mich hat vor allem die Philosophie und die Didaktik dahinter interessiert. Einige Dinge, die ich dort gelernt habe, ließen sich eins zu eins in mein Coaching übertragen: Eine Methode ist der „wide angle“, also der Weitwinkel. Das mache ich zum Beispiel bei Menschen, die extrem gestresst sind oder vor einem Burnout stehen. Es geht darum, den Blick nicht zu fokussieren und auch das periphere Gesichtsfeld zu nutzen. Dabei aktivieren wir unsere anderen Sinne. Wie viel Zeit verbringen Sie mit den Teilnehmern in der Natur?

Es gibt keinen Standardwert. Wer viel draußen arbeiten möchte, kann das machen. Wenn ich merke, dass Dinge vom Thema ablenken, schlage ich einen anderen Rahmen vor. Und wenn jemand das Coaching in der Natur suspekt ist, biete ich auch ein klassisches Coaching an.

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