Sexy an Eis

MITTE-LEGENDE Antitechno: Martin Eberle hat die galerie berlintokyo fotografisch dokumentiert

„Der modernste Keller Europas“, schrieb Vogue angeblich über die galerie berlintokyo, die in einem Hinterhofkeller in der Rosenthaler Straße residierte. Martin Eberle hat das Treiben in der Galerie dokumentiert, die vom 10. Mai 1996 bis zum 10. Mai 1999 existierte. Anlässlich der Ausstellung „Wir sind hier nicht zum Spaß“ im Kunstraum Kreuzberg/ Bethanien ist eben ein Band mit Eberles Fotos erschienen.

Eines zeigt Rosa beim Handshake mit Rolf Eden, das berlintokyo hat auch Partys im Big Eden veranstaltet. Rosa wiederum hat die so knappen wie treffenden Kommentare zu den Fotos des Bands verfasst, mit lakonischen Überschriften wie dieser: „Ein im Grunde schrecklicher Abend“.

Momente des Überschwangs hat Martin Eberle festgehalten, aber auch Routinen wie das Mixen des Hausdrinks „Sexy an Eis“. Das postexzessive Motiv des Ausgelaugten, Kaputten und Zugemüllten darf nicht fehlen. Auf einem der diversen Actionfotos kann man sehen, wie der Sänger der Stuttgarter Punk-Combo Midget beim Singen einen beeindruckenden breakdancemäßigen Handstand macht.

Am schönsten sind die Porträts, wobei zwischen Machern und Gästen nicht unterschieden wird, weil berlintokyo wie alle guten Mitte-Orte der 90er ein kollektivistisches Unterfangen zur Einleitung von sozialen und künstlerischen Prozessen war. Erst jetzt zeigt sich so recht, wie stilsicher und formbewusst die Hipster von damals den eher scheußlichen Raverstyle der Zeit mit modernistischer Reduktion und bohemistischer Verkleidungskunst konterten. Gleiches gilt für die Musik. Die zweite Generation Nachwendekultur war schon Antitechno und Neo New Wave. Beim Jeans Team wird zwar noch Umhängekeyboard gespielt, der Bass aber kommt aus einer Gitarre. ULRICH GUTMAIR

■ Martin Eberle: „galerie berlintokyo“. Drittel Books, Berlin, 76 Seiten, 70 Farbfotos, 28 Euro