Es gibt noch ein paar Alte

PRENZLAUER BERG Ein Haus in der Winsstraße, unsaniert: Seine Bewohner spiegeln den Wandel im Kiez wider

Es ist eines von vier Häusern in der Winsstraße, deren Fassade noch bröckelt. „Dabei gehörte es früher zu den schönsten“, erzählt Jürgen H., der 1987 eingezogen ist. Noch zu DDR-Zeiten wurde es saniert, eine Seltenheit im Kiez. Aber da hatte der gelernte Dreher und spätere Buchhändler seine Wohnung bereits selbst instand gesetzt, die Heizung, die Fußböden, die Elektrik.

Heute zahlen seine Frau gerade mal 460 Euro warm: für drei Zimmer, 100 Quadratmeter, erster Stock. Gegen alle Versuche, die Miete substanziell zu erhöhen, hat sich Jürgen H. erfolgreich gewehrt: den der Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg, den des Käufers Anfang der Nullerjahre, den des kanadischen Investors, der das Haus vor wenigen Jahren übernahm.

Jürgen H. ist ein kleiner Mann in den Sechzigern mit breitem Berliner Akzent, seine Augen funkeln schlau. Schon früh habe er sich über seine Rechte informiert, erzählt er. Er wurde Mitglied bei einem Mieterverein, dessen Anwalt er regelmäßig Briefe schreiben lässt. Er weiß, dass derzeit die letzten Häuser im Kiez saniert und die Bewohner mit Briefen überzogen werden – Mieterhöhungen von bis zu 300 Prozent werden angedroht.

Jürgen H. ist dennoch guter Dinge. Er mag trotz allem, was aus seinem Kiez geworden ist. „Die Alkis sind verschwunden“, sagt er, „und viele meiner Freunde wohnen immer noch hier.“ Was aus den anderen geworden ist, die auch den Winskiez einmal bunter und lebendiger machten, dazu sagt er nichts.

Verliebt in die Wohnung

Ähnlich sieht es Kerstin B. aus dem zweiten Stock, obwohl sie für zehn Quadratmeter weniger Fläche fast das Doppelte von H.s Miete zahlt. Sie wohnt erst seit 2011 im Haus, davor lebte sie sechs Jahre in einer kleinen Wohnung um die Ecke, davor lange in Köln. Die dortigen Mieten stecken ihr noch in den Knochen, daher findet sie die knapp 1.000 Euro, die sie für ihre Wohnung aufbringen muss, nicht zu viel. Immerhin bringt die Markenberaterin, eine große, attraktive Frau in den Vierzigern, hier nun auch ihr Büro unter. Und außerdem: Die Flügeltüren! Die Dielen! Der Erker, die alten Kastenfenster! Kerstin B. hat sich „sofort in die Wohnung verliebt“, sagt sie, genauso wie in den Kiez, der ihr Zuhause geworden ist.

Und wirklich: Der kleine Bioladen, der Gemüsehändler, der als Vertragsarbeiter aus Vietnam in die DDR kam, die Buchhandlung mit den abgewetzten Sofas – in der Winsstraße kann man noch immer leben wie im Dorf. Es gibt noch ein paar Alte, einen Schuster, ein Generationencafé. Noch schießen hier nicht die Läden aus dem Boden, wo man nur teure Dinge kaufen kann, die man nicht braucht – so wie jenseits der Prenzlauer im Norden und der Greifswalder im Süden, am Kollwitzplatz oder auf der Bötzowstraße. Kerstin B. hofft, dass die Winsstraße noch lange ein vergleichsweise unentdeckter Fleck bleibt. Ein geruhsamer Fleck im Schatten der Schickeria von Prenzlauer Berg.

B. ist eine typische Hausbewohnerin. Die meisten sind erst vor wenigen Jahren eingezogen: der mittellose französische Maler im Vierten, der die Mitarbeiter einer französischen Internetfirma mit einem Gästezimmer versorgt und dafür umsonst wohnt. Die Familie im Zweiten und die im Dritten, die aber demnächst zu einer Baugruppe nach Pankow überläuft. Von den WGs, die es in den 90ern gab, ist keine mehr übrig. Länger als Jürgen H. wohnt nur eine Frau im Haus.

Verschwundene Bars

„Wenn wir nicht schon seit zwölf Jahren hier wohnten“, sagt Markus E., „würden meine Freundin und ich vielleicht wegziehen.“ Obwohl sie typische Kiezbewohner seien – „abgesehen von den Kindern, die wir nicht haben“. Auch dem 42-jährigen Autor, vor dessen Tür im dritten Stock die neongelben Turnschuhe auf den täglichen Lauf warten, hat es die Winsstraße angetan – nur dass die guten Bars und Clubs aus dem Umfeld verschwunden sind. Vor allem das Coffy und die Luxus Bar fehlen ihm sehr.

„Na, vielleicht würden wir doch nicht wegziehen“, sagt E. und grinst. Wo in Berlin gebe es schon noch drei schöne Altbauzimmer für 750 Euro warm? Vielleicht in Spandau, vermutet er. Und da will einer wie er ganz sicher nicht hin. SUSANNE MESSMER