HAUSTIERE VII
: Der Gentleman-Fuchs

Jeden Abend begegnet mir ein Fuchs

Die letzten Tage, der Schnee, sagt Hannah, du kannst dir ausmalen, dass ich auf mein übliches Verkehrsmittel verzichten musste – das Hollandrad. Bei diesem Wetter gehe ich gezwungenermaßen zu Fuß zur Arbeit über den Schnee, der auf den Gehsteigen mittlerweile zu einer letalen Mischung aus Eis, Salz und Asphalt geronnen ist: Ich setze einen Fuß vor den andern, ich bin langsamer unterwegs als sonst, bisher hat es mich noch nie auf den Hintern gehauen, doch das ist purer Zufall. Ich sah Alte und Junge vor mir, wie sie sich ungewollt und schmerzhaft in den Schnee setzten. Ich sah Autofahrer und die Feuerwehr, wie sie an Kreuzungen die ideale Kurvenlinien verließen und Häuser streiften. Ich sah die privaten Wachmannschaften vorm Rathaus Neukölln oder in der Kochstraße, wie sie sich um die einzige Aufgabe drückten, die dringend anstand und im überdachten Eingang des Rathaus rauchten oder um das Springer-Hochhaus schlichen. Eine Schaufel oder ein Salzsack vermisste ich immer.

Ich bin die letzten Tage also, sagt Hannah, zu Fuß nach Hause gedackelt. Mein Nachhauseweg führte vorbei am Landwehrkanal. Ein mythischer Ort, ich weiß, sagt Hannah, ich gebe es zu, weil wir uns da theoretisch zum ersten Mal in unserem Leben küssten – wir wollte noch auf ein Bier an den Kanal, und es wurde doch meine Wohnung, weil wir zu faul waren, bei Eiseskälte die dreihundert Meter zum Urbanhafen zu überwinden – doch jetzt zwingt mich die vereiste Fahrbahn mein ebenso vereistes Fahrrad zu Hause zu lassen, schimpft Hannah. Und ich stapfe am Kanal entlang, und du glaubst es nicht: Jeden Abend Punkt 18 Uhr 15 begegnet mir ein Fuchs. Ein ausgewachsenes Exemplar, die Haare gegelt und perfekt gelegt, ein Lächeln auf den Lippen, ein absoluter Gentleman, der mir immer den Vortritt lässt. Und ich frage mich, denkst du noch eigentlich an mich?

TIMO BERGER