Strucks Gesetz

AUS BERLIN STEFAN REINECKE

Die Debatte um die Föderalismusreform ist „offen“, so der SPD-Fraktionschef Peter Struck gestern im Bundestag. Unionspolitiker und die Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD) und Edmund Stoiber (CSU) hatten gedroht, dass jede Änderung des Gesetzes die umstrittene Megareform scheitern lassen könne. Struck hingegen sagte gestern, dass es Änderungen geben wird, „wenn es notwendig ist“.

Bedenken gibt es in der SPD vor allem bei der Bildungspolitik. Dort soll der Bund künftig zum Beispiel keine Ganztagsschulen in den Ländern mehr fördern dürfen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Länder kein Geld vom Bund haben wollen – bisher war das immer umgekehrt“, meint Struck.

Kritisch betrachten will Struck auch das Umweltrecht. Dort sollen die Länder weit gehende Abweichungsmöglichkeiten vom Bundesrecht bekommen. Befürchtet wird, so Struck, die „Absenkung von Umweltstandards“ und die Zersplitterung des Rechts. Desweiteren müsse beim Strafvollzug, der künftig Ländersache sein soll, sichergestellt werden, dass es keinen „Wettbewerb um die härtesten Knäste“ (Struck) gibt.

Strucks Rede, passagenweise auch von Grünen und Linkspartei beklatscht, war der Höhepunkt der dreieinhalbstündigen Debatte – und eine rhetorische Glanzleistung. Denn Struck gab die wachsende Kritik der SPD-Fraktion an der Reform getreulich wieder – ohne sich auf irgendetwas festzulegen. Seine Botschaft lautete: Alles ist offen – was die Möglichkeit einschließt, dass auch alles bleiben kann, wie es ist.

Für die Union redeten Fraktionschef Volker Kauder und Norbert Röttgen, mit deutlich anderen Argumenten. Wer das Gesetz kritisiert, gefährde den lange zwischen Bund und Ländern ausgehandelten Kompromiss. Röttgen meinte, dass der Bundestag kein Grund zur Klage habe, weil der Bund „der eindeutige Gewinner“ der Reform sei. Kauder mühte sich, den Eindruck zu zerstreuen, dass der Bundestag nur andernorts Beschlossenes durchwinken soll. Die Fachanhörungen, so Kauder, würden keine „Schaufensterveranstaltungen“. Allerdings gingen die Unionspolitiker mit keinem Wort auf die detaillierte sachliche Kritik von Struck, Bodo Ramelow (Linkspartei), Krista Sager (Grüne) und dem Umweltpolitiker Reinhard Loske (Grüne) ein. Kauder kritisierte dafür pauschal die „Bedenkenträger“ in der SPD. Die Neigung in der Union, sich mit inhaltlicher Kritik zu befassen, hält sich offenbar in Grenzen.

Diesen Eindruck verstärkte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer. Die Föderalismusreform sei „großartig“ und „ein Zeichen der Zuversicht für unser Land“. Und: „Die große Koalition redet nicht nur, sie handelt auch.“ Selten war im Bundestag so viel grundloses Selbstlob zu hören. Ramsauers Botschaft war klar: Wir lassen uns das Prestigeprojekt der großen Koalition nicht miesreden.

Wie unklar sich SPD und Union über die Wirkung der Reform sind, zeigte ein kaum bemerkter Widerspruch zwischen Struck und Röttgen. Laut Struck ist völlig offen, wie viele Gesetze nach der Reform nicht mehr zustimmungspflichtig durch den Bundesrat sind. Klären soll dies eine Studie. Dies berührt den Kern der Reform, die den Bundesrat von der Rolle als Gegenregierung befreien soll. Röttgen behauptete, ein Drittel aller Gesetze wären künftig nicht mehr zustimmungspflichtig – ohne zu verraten, woher er das weiß.

Das so genannte Struck’sche Gesetz lautet: „Im Bundestag kommt nichts so raus, wie es reingegangen ist.“ Offenbar würde Struck dieses nach ihm getaufte Verfahren auch gern auf die Föderalismusreform anwenden. Wenn die Union es zulässt.