Esther Slevogt betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

Vor bald 20 Jahren wurde Deutschland wiedervereinigt, ein Event, das manche schon für so selbstverständlich halten, dass es als staatstragender Fall abgebucht wird und seine Risiken und Nebenwirkungen für viele kaum noch einer Rede wert sind. Nicht so für das Theater 89, das der Feier (oder Nichtfeier) des Tages im Oktober bereits an diesem Wochenende eine Doppelpremiere gewidmet hat: eine eigene, auch mit der Gegenwart verschränkte Spielfassung von Ödön von Horváths Roman aus dem Deutschland des Jahres 1937 „Jugend ohne Gott“ über naziideologievergiftete mörderische Schüler und ihren verzweifelnden Lehrer, der eben kein Nazi ist. Premiere ist Freitag. Am Tag darauf folgt die Uraufführung des Gefängnisberichts „Hafthaus, den der Dramatiker und 2004 jung verstorbene Exintendant des Potsdamer Hans-Otto-Theaters, Ralf-Günter Krolkiewicz, auf der Basis eigener Erfahrungen mit Stasi-Haft schrieb. In die finsteren, blutrünstigsten Abgründe der Deutschen kann man auch mit Friedrich Hebbels „Die Nibelungen“ blicken, das am Deutschen Theater ab Freitag Michael Thalheimer präsentiert, als deutsche „Orestie“ sozusagen. Eine Produktion, die gewiss auch die Auftragsbücher der einschlägigen Theaterblutfirmen füllen wird. Die mentale Verfassung der von zwei Frauen zum Morden angetriebenen Nibelungen ist auch mit dem Titel eines neuen Stücks von Falk Richter ausgesprochen gut beschrieben: „Wenn es Nacht wird. Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs. Allerdings kann man davon ausgehen, dass Richters Männer im Ballhaus Ost absolut gegenwärtig und damit auch kein bisschen blutrünstig sind. Daran leiden sie ja genau, in gewisser Weise zumindest: dass es heutzutage, wo das Morden ebenso out ist wie der Macho an sich, so schwer ist, ein Mann zu sein.

■ „Jugend ohne Gott“. Theater 89, ab Freitag

■ „Hafthaus“: Theater 89, ab Samstag

■ „Die Nibelungen“: Deutsches Theater, ab Freitag

■ „Wenn es Nacht wird“: Ballhaus Ost, Freitag–Sonntag