EVA VÖLPEL ÜBER STREIKENDE ÄRZTE
: Berechtigte Forderungen

Der Warnstreik der Ärzte dürfte Unverständnis bei all denen hervorrufen, die dabei nur an golfende Chefärzte mit dicken Autos denken. In der Tat: In der Ärzteschaft gibt es eine kleine Gruppe von Spitzenverdienern mit übertriebenen Gehältern.

Für die meisten Beschäftigten sieht die Realität anders aus: Für rund 4.000 Euro Brutto im Monat schuftet ein Arzt im dritten Jahr bis zum Umfallen. Laut einer Umfrage des Marburger Bundes arbeiteten 2007 knapp 40 Prozent der Ärzte zwischen 60 und 79 Stunden in der Woche, 38 Prozent kamen auf 50 bis 59 Stunden. 59 Prozent gaben an, dass die gesetzlich festgeschriebene Höchstarbeitszeitgrenze regelmäßig überschritten wird.

Ein besonderer Skandal dabei ist, dass die vor allem nächtlichen Bereitschaftsdienste, die jeder Arzt mehrmals im Monat leisten muss, immer mehr zu Vollarbeitszeit mutieren. In der Bereitschaft werden Patienten versorgt und operiert, die Mediziner erhalten dafür aber deutlich weniger Geld als in ihrer Regelarbeitszeit. Statt Nachtzuschlag also Nachtabzug. Dazu kommt, dass die Arbeitgeber die vorgeschriebene Ruhezeit nach einem 24-stündigen Arbeitseinsatz sogar noch für Negativverbuche auf dem Arbeitszeitkonto missbrauchen. Kein Wunder, dass mehr als die Hälfte der ÄrztInnen am Krankenhaus überlegen, ihre Tätigkeit dort aufzugeben.

Das muss uns alle alarmieren: Übermüdung und Unzufriedenheit der Ärzte führen, gepaart mit chronischem Ärztemangel und unbesetzten Stellen, schnell zu menschlichen Katastrophen. Wir Patienten aber sind es, die Behandlungsfehler mit körperlichem Leid oder gar Tod bezahlen. Die Forderungen der Ärzte verdienen also unsere Unterstützung. Der Marburger Bund hätte sich aber mehr Freunde gemacht, wenn er für die unteren Tarifgruppen mehr fordern würde als für den golfenden Chefarzt.

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