Braunschweig zwischen Baum und Borke

Nach dem furiosen Saisonstart der Eintracht war bei Jägermeister-Fans schon vom baldigen Aufstieg in die erste Bundesliga die Rede. Jetzt aber muss der Traditionsverein von der Oker aufpassen, dass er nicht bald schon wieder in der Regional-Klasse gegen die Zweitmannschaften der Spitzenclubs kickt

von Christian Görtzen

Nach oben? Nach unten? Oder doch nach oben? Wohin sie ihren Blick richten sollen, wissen sie beim Fußball-Zweitligisten Eintracht Braunschweig wohl selbst nicht so ganz genau. Alles scheint möglich in dieser Spielklasse, die sich vor allem durch eine enorme Ausgeglichenheit auszeichnet.

Zwei Siege nacheinander, und der Neuling Braunschweig fände sich plötzlich im erlauchten Kreis der Aufstiegsaspiranten wieder. Zwei Niederlagen in Folge indes würden die Schreckensvorstellung vom postwendenden Wieder-Abstieg und die Aussicht auf Spiele gegen Bayer Leverkusen II und Borussia Mönchengladbach II plötzlich unangenehm real erscheinen lassen. Kurzum: Braunschweig befindet sich zwischen Baum und Borke.

Zu Saisonbeginn waren die Träume in den Himmel geschossen. Nach vier Spieltagen durften sich die Blau-Gelben Tabellenführer der 2. Liga nennen – zum ersten Mal nach 16 Jahren. Die Euphorie im Umfeld des Traditionsvereins, nach dem Aufstieg ohnehin schon beträchtlich, steigerte sich fast ins Grenzenlose. Nicht wenige Fans betrachteten die Zweite Liga als Durchgangsstation. Sie sahen ihren Verein auf direktem Weg in die Bundesliga – dorthin, wo die Konkurrenz aus Wolfsburg und Hannover schon seit Jahren spielt.

Fußballgeschichte hat die Eintracht zuletzt in den 1970er-Jahren geschrieben, als sie die Trikotwerbung in Deutschland salonfähig machte. Vor 21 Jahren aber kam der Abstieg aus der deutschen Eliteliga. Und von diesem Sturz hat sich das Bundesliga-Gründungsmitglied, das 1967 mit Trainer Helmuth Johannsen die Meisterschaft gewann, nie vollständig erholt. Seitdem betätigt sich Braunschweig als Wandler zwischen den Ligen. Wenn’s gut läuft, spielt der Verein zweitklassig. In tristen Zeiten, und die sind an der Oker gar nicht so selten, krempelt man in der Regionalliga herum.

Mittlerweile ist nicht mehr auszuschließen, dass es dahin im Sommer zurückgeht. Die Eintracht benötigt aus den verbleibenden elf Spielen noch drei Siege für den Klassenerhalt. 43 Punkte hätten die Niedersachsen dann. „Das müsste reichen“, sagt Manager Wolfgang Loos, der angibt, mit dem Verlauf der Spielzeit sehr zufrieden zu sein. „Sicher könnte ich in der Tabelle auch ein wenig nach oben schielen, aber wenn wir am Ende irgendwo zwischen dem elften und vierzehnten Platz landen, wäre doch alles optimal.“

Seit dreieinhalb Jahren übt Loos die Managertätigkeit bei der Eintracht aus, und übt sich, anders, als in Karnevalshochburgen sonst üblich, in vorsichtigen Tönen und realistischen Einschätzungen. „Im Moment passen viele Mosaiksteine zusammen. Wir haben Sponsoren gewinnen können, haben den Dauerkartenverkauf von 3.000 auf 8.000 gesteigert, besitzen eine junge Mannschaft, in der es stimmt, und wir haben in Michael Krüger einen exzellenten Trainer.“ Dass der überregional noch nicht so den Ruf genießt, liege nur „daran, dass er lange in Ägypten gearbeitet hat“, so Loos.

Tatsächlich hat Krüger in Afrika für erhebliche Überraschungen gesorgt – im positiven Sinn: Mit den Arab Contractors, dem Klub der größten nordafrikanischen Hoch- und Tiefbaufirma, gewann der 51-jährige Fußballlehrer 1996 den afrikanischen Pokal der Pokalsieger. Später feierte der gebürtige Lüneburger, der bereits im Alter von 27 Jahren die Trainerlaufbahn eingeschlagen hat, mit El Masri den ägyptischen Pokalsieg. „Beides waren Riesen-Sensationen, weil die Klubs vergleichsweise klein sind und normalerweise im Konzert der Großen gar nicht mithalten können“, so Krüger. Diesen Erfolgen hat er es zu verdanken, dass ihm auch jetzt noch von nordafrikanischen Klubpräsidenten immer wieder Jobangebote gemacht werden.

Seit Frühjahr 2004 trainiert er jedoch seinen „Traumverein seit der Jugend“ – die Eintracht Braunschweig eben. Von Hurrafußball hält der Familienvater eher weniger. Er könne nicht behaupten, dass ihm ein 4:3-Sieg lieber wäre als ein 1:0. Eine stabile Verteidigung sei die Basis des Erfolgs, sagt Krüger.

Dass nach dem furiosen Saisonbeginn mancher vom Saisonziel Erste Liga schwadronierte, war Krüger gar nicht recht: „Auch für mich ist es ein Traum, mit der Eintracht mal in der Bundesliga zu spielen“, sagt er. „Aber wir sind natürlich noch lange nicht so weit.“ Den eingeschlagenen Weg werde man „mit den jungen Leuten weitergehen. Wir haben zwar eine ordentliche Hinrunde gespielt, aber es bedarf noch unheimlicher Konzentration, um die Saison mit dem Klassenerhalt erfolgreich zu beenden“, sagt Krüger.