Die Entdeckung der Currywurst

Die Erkenntnis des Spiels geht über Wolfsburg hinaus: Während VfL-Trainer Klaus Augenthaler das 0:0 gegen den angeschlagenen FC Bayern als „Zusatzpunkt“ wertet, knabbern die Münchner lustlos am grauen Bundesliga-Alltag – und widmen sich darüber hinaus ihren Verdauungsproblemen

Klaus Augenthaler ist ein Realist, und das ist nicht ironisch oder despektierlich gemeint. Wenn der Trainer des VfL Wolfsburg sagt, dass man sich mit dem samstäglichen 0:0 gegen den Bundesliga-Tabellenführer FC Bayern einen „Zusatzpunkt“ verdient habe, dann kann man das ernst nehmen. Erstens, was die Situation des VfL, zweitens was jene der Bundesliga betrifft.

Was den VfL Wolfsburg angeht, so beträgt der Abstand zu den Abstiegsplätzen nach den Entwicklungen des Wochenendes nur noch drei Punkte; und die nächsten beiden Gegner heißen HSV (zu Hause) und Schalke (auswärts). Dass Augenthaler das 0:0 dennoch als Erfolg verbucht, zeigt, dass er das Maximale nicht allein mathematisch (drei Punkte), sondern im Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit des eigenen Teams und der Stärke des Gegners definiert.

Um es einfacher zu sagen: Mehr war nicht drin. Der für den verletzten Klimowicz stürmende Hoogendorp hatte früh eine dicke Chance (2.), Mike Hanke eine weitere (22.) – das war’s auch schon. Genau betrachtet, musste Bayern-Torhüter Oliver Kahn keinen einzigen Ball halten. Wolfsburg war aber nicht schlecht, sondern arbeitete defensiv sehr konzentriert – mit variiertem 4-4-2 beziehungsweise 3-5-2: Sarpei war für die rechte Seite allein verantwortlich. Vor allem Tom van der Leegte mühte sich zentral vor der Abwehr und speziell gegen Michael Ballack um Dominanz.

Allerdings hat Bayern-Trainer Felix Magath Recht, wenn er sagt, man habe den VfL „90 Minuten dominiert und kontrolliert“. Bayern presste engagiert und offenbar getrieben vom Vorwurf fehlenden Engagements nach dem Champions-League-Aus. Man zwang Wolfsburg permanent zu Rückpässen. Nach 70 Minuten war der VfL ziemlich erledigt und konnte die Bälle kaum so schnell raushauen, wie sie zurückkamen. Keeper Jentzsch musste gegen Pizarro und Ballack den Punkt festhalten. Richtig große Chancen hatte aber auch der FCB nicht: Krisen-Diagnostiker machen daran Münchner Angriffsprobleme fest, Augenthaler verbuchte es als Leistung des VfL.

Die Erkenntnis des Spiels geht über Wolfsburg hinaus: Ein Team wie der VfL kann gut organisiert einen Punkt holen. Es kann aber die Bayern im Normalfall nicht (mehr) schlagen – auch nicht zu Hause und dann nicht, wenn sie gerade Probleme haben. Dafür ist das spielerische Potenzial des VfL einfach nicht (mehr) gut genug. Und: Dafür spielen die Bayern einfach zu sehr in ihrer eigenen Klasse. Das sagt auch etwas über die Gesamtsituation der Liga: Die Aufregung ist groß, das Stadion ausverkauft, aber das Spiel oft nur für Taktik-Liebhaber befriedigend.

Bayerns Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge, Manager Uli Hoeneß und Trainer Felix Magath mühten sich, das Remis nach zwei Niederlagen in Folge als Wende zum Besseren zu deuten. Einen „klaren Fortschritt“, sah Magath. Grund: „Der VfL hatte nur zwei Chancen, hätten wir das auch in Mailand realisiert, wären jetzt alle glücklich.“ Jede Aussage zeigte, wie wenig man sich mit Wolfsburg – also dem Bundesligagrau – beschäftigen wollte und wie sehr man an dem 1:4 bei Milan knabbert.

Die Bayern-Chefs scheinen entschlossen, dem Achtelfinal-Aus in der Champions League im Sommer tatsächlich personelle Veränderungen folgen zu lassen. Das heißt nicht, dass man populistischen Forderungen nach so genannten Superstars folgt. „Bayern wird die Mannschaft so zusammenstellen, dass wir eine größere Chance haben, mitzuhalten als in diesem Jahr“, sagte Uli Hoeneß am Sonntag im DSF. Gleichzeitig erklärte er, „um die Mannschaft nicht zu verunsichern“, keine Personaldiskussionen führen zu wollen, „bis Meisterschaft und Pokal unter Dach und Fach sind“.

Wem das ein Widerspruch zu sein scheint, der kennt das Prinzip der schizophrenen Argumentation nicht. Interessant ist, dass Hoeneß eine Verpflichtung von Rafael van der Vaart vehement und glaubwürdig ausschloss. Der Spielmacher des HSV sei ein „wunderbarer Spieler“. Bloß: „Ob er die internationale Klasse hat? Ich glaube: Nein.“

Das ist knallhart. Keiner wird bezweifeln, dass Hoeneß ein absoluter Fachmann ist. Wenn der einen der wenigen herausragenden Kreativspieler im Land so beurteilt, muss man sich über die Distanz zwischen Bundesliga und internationaler Spitze keine Illusionen machen. Ähnliches gilt für die im Presseraum der VW-Arena gereichte Currywurst. Mancher Durchschnittsgourmet hält große Stücke darauf. Wurstfabrikant Hoeneß mochte aber auch ihr keine internationale Perspektive attestieren. Im Gegenteil: Die Wurst liege ihm im Magen. Es dürfte das einzige vom VfL Wolfsburg gewesen sein, was ihn nach Spielende noch beschäftigte. Peter Unfried