Münchner Verhältnisse

Nach dem Hertha-Sieg gegen Bremen ist die Debatte um Trainer Götz wieder verstummt. Vielleicht zu früh, wie ein Vergleich mit seiner Arbeit beim TSV 1860 München zeigt

Es gibt Trainer, die haben ihre Ausbildung an der Sporthochschule Köln mit Auszeichnung abgeschlossen, beherrschen jede noch so komplizierte taktische Ausrichtung und verfügen über ein gigantisches Fachwissen. Nur leider gelingt diesen Trainern aufgrund zwischenmenschlicher Defizite nicht, ihre Spieler zu motivieren. Eine andere Art der Spezies Trainer stellt sich als das krasse Gegenteil dar: Die fußballerischen Kenntnisse mühsam in der B-Klasse Erfurt-Süd erworben, versteht es dieser Coach aber umso mehr, die Spieler seines Teams zu motivieren. Ergebnis: Selbst ein Ronaldinho würde gegen den übergewichtigen talentfreien Abwehrspieler Fredl Ostmann vom SSV Bockhorn kaum einen Stich machen.

Und dann gibt es einen Trainer mit ganz besonderen Begabungen: Falko Götz. Von Neidern oft als Blender und Schönling beschimpft, zeigte er in den vergangenen Jahren, welch verborgene Talente in ihm schlummern. Gern übernahm er gesunde Vereine mit viel versprechendem Wachstumspotenzial – um dann die sportliche und wirtschaftliche Kehrtwendung in Richtung zweite Liga einzuleiten.

Die Anhänger von Hertha BSC durften zwar nach dem mehr als überraschenden 3:0-Sieg in Bremen ein wenig Hoffnung schenken. Sie werden aber weiter bangen müssen – und sich vielleicht des öfteren die Frage nach dem Trainer stellen. Am Beispiel von Götz’ vorherigem Arbeitgeber, dem TSV 1860 München, lässt sich erkennen, wo die Berliner landen könnten, wenn der Trainer weiterhin so arbeiten darf wie bisher: Der TSV ist nur noch zweitklassig.

Traurige Parallelen gibt es viele. Ungeachtet des intakten Mannschaftsgefüges, überwarf sich Götz in München mit den bewährten Stammkräften. Radikal leitete er eine Verjüngungskur ein und bot Woche für Woche ein völlig überfordertes und unerfahrenes Team auf. Ergebnis: Die sportlichen Erfolge blieben aus. Hoffentlich nehmen die Unstimmigkeiten zwischen Trainer und Leistungsträger Marcelinho nicht das gleiche Ende.

Wie bereits in München, redet Falko Götz auch in Berlin die Misserfolge schön. Hertha hatte vor dem Überraschungscoup gegen Bremen eine schier unglaubliche Serie von 13 Pflichtspielen ohne Sieg hingelegt. Dabei ist der Anspruch beim Hauptstadtklub die jährliche Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb. Vom Erreichen des Uefa-Cups wird jetzt – nach dem ersten Sieg seit Anfang Dezember 2005 – schon wieder geträumt.

Auch 1860 München wollte sich für den Uefa-Cup qualifizieren. Doch die Münchner verloren über Wochen Spiel um Spiel und rutschten nur deshalb nicht unmittelbar in die Abstiegszone, weil die Konkurrenz ebenfalls patzte. Ähnlich geht es derzeit Hertha: Weil etliche Abstiegskandidaten am Wochenende ebenfalls gepunktet haben, ist der Vorsprung, der die Berliner von der brisanten Zone trennt, nicht gewachsen. Allzu rasch könnte Hertha BSC schon in zwei Wochen auf Platz vierzehn stehen.

Falko Götz scheint nicht klar zu sein, dass eigentlich bei jeder Mannschaft auf einem zweistelligen Tabellenplatz akute Abstiegssorgen herrschen. Vielleicht bietet die Sporthochschule Köln eine Nachschulung im Fach „Abstiegskampf“ an. Den Berliner Fans wäre es zu wünschen.

Jörg Scharnweber

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