Frisches Grünzeugs für die Ohren

Was verbindet ein Berliner Labelnetzwerk mit den nordischen Botschaften? Die Norwegerpullover der Musiker? Irgendwann während des Auftritts von Cooperative Music im Felleshus wurde das egal, als nur noch die Musik zählte

Man hatte es sich natürlich wieder einmal ganz anders vorgestellt. Eine Einladung in die schwedische Botschaft zum „exklusiven Showcase“ – das klang doch hochherrschaftlich nach Lachshäppchen auf Botschaftssilber, nach Glanz und Gloria des diplomatischen Korps. Aber moderne demokratische Staaten präsentieren sich heute anders und Independent Labels erst recht.

Ohne irgendeine Kontrolle gelangte man ins „Felleshus“ der nordischen Botschaften und lungerte lange in der modernen Mehrzweckhalle zwischen anderen Medienschaffenden, flaschengrünem Glas und hellem Holz herum. In der Leseecke stand alles von Astrid Lindgren und Hans Christian Andersen, auf einem Tisch gefüllte Saftgläser und grüne Fläschchen mit Carlsberg-Bier. Das ganze Setting war sehr unspektakulär, geradezu glanzlos, aber schließlich hatte nicht der schwedische Botschafter, sondern das Netzwerk „Cooperative Music“ eingeladen.

Cooperative Music ist ein Schallplattenfirmennetzwerk für mehrere Independent Labels, das Mitte 2005 unter Dach und Vorherrschaft der Plattenfirma V2 gegründet wurde. Dahinter steht die Idee, dass sich kleine Labels in den Bereichen Herstellung, Vertrieb und Promotion zusammentun. Der Nachteil einer solchen Kooperation liegt in der großen Unberechenbarkeit der so genannten Majorkonzerne, wo heute geprasst wird und am nächsten Tag ganze Unterabteilungen wegen Sparzwangs aufgelöst werden. Wie lange erfahren da wohl Kleinstlabels Unterstützung, wenn der schnell sichtbare Erfolg ausbleibt?

Allerdings sind bei den Labels von Cooperative Music überaus erfolgreiche Bands unter Vertrag, das dürfte die nahe Zukunft sichern. Bei Wichita (USA) erschien kürzlich das Debütalbum der Brooklyner Internetwunderband Clap Your Hands Say Yeah, das UK-Label Moshi Mosh hat Architecture In Helsinki im Programm, und das Berliner Label City Slang vertritt erfolgreiche Bands wie Calexico, The Notwist und Wir sind Helden.

Aber warum schicken Indielabels ihre Bands in Botschaften? Deutsche Indiebands sind ja zu Recht etwas empfindlich, was Popmusik als Standortfaktor und das Thema „Pop und Nation“ angeht. Andererseits reisen bei uns auch die kritischsten Geister gerne mit dem Goethe-Institut um die Welt … Mit diesen Gedanken vertrieb man sich so die Zeit im Felleshus, als zwei verloren blickende Indieboys in Cordjackett und Norwegerpullover die Treppe herunterkamen, wenn das nicht mal die Band war!

Ach, die Armen, wären sie jetzt nicht lieber in einem richtigen Club im echten Berlin statt hier in the Midlde of Nowhere, in der nordischen Botschaft zwischen Hofjägerallee und Großem Stern? Bald darauf trabte die ganze Meute ins Auditorium und nahm im schönsten Hörsaalambiente Platz. Dann kam die schwedische Band The Tiny auf die Bühne, die Männer traten zu Cello und Kontrabass, die Sängerin und Songwriterin Ellekari Larsson’s setzte sich ans Piano. Mit ihren Ohrringen aus grünem Blattwerk, den zum Haarkranz geflochtenen Zöpfen und ihrem braun gemustertes Kleid hätte sie hervorragend eine schrullige Dorfschullehrerin aus dem schwedischen Hintertupfingen in einem schwedischen Independentfilm darstellen können.

Schenkt man der Biografie auf myspace.com Glauben, so war Ellekari Larsson in jungen Jahren dazu bestimmt, professionelle Eiskunstläuferin zu werden, ein verhängnisvoller Eisunfall aber beendete die Karriere im Alter von 14 Jahren. So lernte sie Posaune, spielte in Punkrock-und Skabands, 2004 erschien ihre erste CD auf dem eigenen Label. The Tiny vollführten mit Kontrabass, Cello und Klavier, singender Säge und Orgel eine ganz eigene Musik, die man unter Weird Folk verorten könnte, die aber auch etwas gediegen Kammermusikalisches hat. Larssons überirdischer Stimme hört man die Musikhochschule und Free-Jazz-Klasse an, eine Stimme in der Tradition großer Stimmexzentrikerinnen wie Björk und Kate Bush. Wobei sich Larsson aber nie in der tonalen Verstiegenheit verliert, sondern immer noch den Dreh zurück zur Popmelodie findet, so wie ihre Texte nicht nur surreal, sondern auch soziologisch, poetisch und humorvoll sind.

Danach trat noch ein Duo aus Schweden auf, auch hier eine sehr aparte Stimmkünstlerin, diesmal an der akustischen Gitarre. Aber da stieg der nordic chamberfolk doch zu sehr in ätherische Gefilde auf. Und so verließ man die nordischen Botschaften immerhin mit dem Gefühl, eine musikalische Entdeckung gemacht zu haben, und freute sich darauf, The Tiny einmal in einem anderen Umfeld, im echten Berlin, zu sehen.

CHRISTIANE RÖSINGER