Als Glöckner bei Insterburg & Co

Die Wahrheit-Woche der Leichen im Keller: Mein peinlichster Konzertbesuch

Kaum eine menschliche Verrichtung ist vielfältiger zu umschreiben als die des Zechens. Allenfalls der Geschlechtsverkehr kann noch synonymreicher bezeichnet werden, doch um den geht’s in meiner peinlichen Geschichte nicht. Dazu hatte ich mir auch entschieden einen zu doll auf die Glocke gegossen, um nur mal den, wie sich zeigen wird, treffendsten Ausdruck für meine maßlose Zecherei zu nennen. Immerhin, zum völligen Filmriss reichte es nicht, sodass die Blamage, die jener Abusus mir einbrockte – gut konserviert sozusagen von dem Alkohol, dessen Missbrauch sie verursachte –, mir bis zum heutigen Tag leider sehr präsent ist.

Es geschah bei einem Gastspiel von Insterburg & Co. Ich war sechzehn, Abonnent des Bielefelder Jugendkulturrings und somit automatisch mit einer Eintrittskarte für den Auftritt dieser Komikertruppe versorgt. Die Älteren werden sich an sie erinnern. Den Jüngeren muss wohl erklärt werden, dass Insterburg & Co einen für damalige Verhältnisse grandiosen Blödsinn auf der Bühne verzapften. Da wurde komisch musiziert und rumgealbert, witzig gesungen und krumm gedichtet: „Oh Morphi, oh Morphi, oh feines Morphium / Oh Haschi, oh Haschi, du Haschisch dideldum“ lautete einer ihrer Mumpitzreime, den in den Siebzigerjahren eine Menge Leute so was von zum Piepen fanden, dass die Hallen, in denen sie ihre Lieder vortrugen, gar nicht groß genug sein konnten.

In Bielefeld war es die Oetkerhalle. Ein Konzertbau im gediegen holzgetäfelten Ambiente mit livriertem Personal. Normalerweise fanden hier klassische Konzerte statt. Für uns Hippies, die ich und meine Freunde waren, galt sie deshalb als ein Unort. Aber was half’s. Wir wollten Insterburg & Co sehen.

Wie immer, wenn wir loszogen, brachten wir, um uns zusätzlich zu stimulieren, auch hierher einige Liter billigen Wein mit. Als ironisch gemeintes Zugeständnis an die noble Atmosphäre hatte ich allerdings beschlossen, den Fusel, nicht wie sonst, direkt aus der Zweiliterbottel zu saufen, sondern mich vermeintlich stilvoller abzufüllen. Dazu nahm ich ein Weinglas mit. Außerdem glaubte ich an diesem Abend eine schwere Schiffsglocke dabeihaben zu müssen. Sie hing sonst bei uns zu Hause im Treppenhaus und wog an die fünf Kilo. Entsprechend gewichtig war ihr Klang, wenn man ihren massiven Klöppel schwang. Keine Ahnung, was genau mich bewog, dieses Trumm mit mir zu führen. Ich fürchte, ich fand das irgendwie witzig.

Heute ist es schwer vorstellbar, dass man mit einer Zweiliterbombe Frascati, einem fragilen Weinglas sowie einer wuchtigen Schiffsglocke in einen Konzertsaal eingelassen wird. Damals war das kein Problem. Von jeglicher Kontrolle unbehelligt, spazierte ich zu meinem Sitzplatz, wo ich zu meiner Überraschung, eingelassen in die Rückenlehne vor mir, ein Tischchen vorfand, das wie geschaffen schien als Abstellfläche für ein Weinglas. Kurzerhand stellte ich meins dort ab, ließ die Luft raus und pütscherte den zuckrigen Sprit, dabei meinen Sitznachbarn heiter zutrinkend, genüsslich aus.

Bald hatte ich gewaltig einen im Kahn. Zu betrunken, um den lang erwarteten Auftritt der vier Humoristen nicht frenetischst zu bejubeln, war ich aber noch lange nicht. Ich war allerdings der einzige der gut 2.000 Zuschauer, der dies stehend tat und dabei den vier Künstlern lauthals zuprostete. Und dann stemmte ich die Glocke hoch und schlug ihren Klöppel, dass es nur so klongte. Da hatte ich noch die Lacher, auch die der Insterburgs, auf meiner Seite. Als ich aber auch ihr laufendes Programm ständig, und zwar meistens an den falschen Stellen, zu feiern begann, indem ich immer wieder kichernd aufsprang, mit erhobenem Glas wirre Toasts Richtung Bühne ausstieß und wiederholt auch die Glocke schlug, änderte sich das. Da habe wohl jemand den Schlüssel zu Vatis Schnapsschrank gefunden, lautete einer der Kommentare von der Bühne. Der einzige, an den ich mich erinnere.

Wirklich gestoppt hat mich aber keiner. Sie haben mich Peinsack gewähren lassen. So war das in diesen antiautoritären Zeiten. Da wurde selbst einem betrunkenen Gymnasiasten das Recht auf die Entfaltung seiner Persönlichkeit gewährt.

Erst in der Pause haben mir meine Freunde behutsam die Glocke entwendet. Einer von den Insterburgs war extra in den Zuschauerbereich gekommen und hatte darum gebeten. Mein Gebimmel störe doch sehr, zumal der Bielefelder Auftritt mitgeschnitten würde. Dessen zweite Hälfte habe ich dann selig verschlafen.

Zwei Tage drauf bekam ich eine vernichtende Kritik in der Lokalzeitung: Leider habe da einer die Oetkerhalle mit der nahe gelegenen Alm, also dem Fußballstadion verwechselt und jedenfalls schwer genervt, hieß es da. In meinem juvenilen Schwurbel bewertete ich das damals bloß als spießige Mäkelei und somit die Kritik als eine Art Auszeichnung. Erst mit zunehmendem Alter begann mir die Dämlichkeit meines Auftritts zu dämmern, und eine immer größere Scham überkam mich, wann immer ich dieses Abends gedachte. Auch jetzt, nachdem ich gezwungen wurde, darüber zu berichten, erröte ich peinlich berührt. Aah!

FRITZ TIETZ