Der Rat der Nonnen

Wie Obama das Ja der Lebensschützer bekam

WASHINGTON taz | „Baby-Killer!“ Der Ruf hallte kurz vor der letzten Abstimmung durch das Repräsentantenhaus. Der Ruf kam aus der republikanischen Ecke. Am Rednerpult stand der Demokrat Bart Stupak. Er verteidigte die Gesundheitsreform. Der Parlamentarier aus Michigan hatte im letzten Moment seine Meinung zur Gesundheitsreform geändert und war von einem No zu einem Yes übergewechselt. Als Gegenleistung hat ihm Präsident Barack Obama eine Verfügung zugesagt, in der er schriftlich festhalten werde, dass für die Finanzierung von Abtreibungen keine staatlichen Mittel verwendet werden dürfen.

In der Endphase der Debatte über die Gesundheitsreform ist das Recht auf Abtreibung erneut ins Zentrum gerückt. Die zahlreichen „Lebensschützer“, die sich sowohl in den republikanischen als auch in den demokratischen Reihen finden, sahen in der Gesetzesvorlage, über die im Dezember im Senat abgestimmt worden war, die Möglichkeit einer Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Zahlreiche Konservative in Obamas demokratischer Partei hatten mit Rückendeckung einiger katholischer Bischöfe so argumentiert. Doch aus der Kirche selbst kam umgehend Widerspruch: Der Katholische Gesundheitsverband und Ordensfrauen hielten den Bischöfen entgegen, das Gesetz sei „nicht perfekt“, rüttle aber nicht am bestehenden Verbot, staatliche Mittel für Schwangerschaftsabbrüche auszugeben. An der Basis, in ihren Wahlkreisen, taten rechte Graswurzel-Organisationen und die verschiedenen Religionsgemeinden wiederum das Nötige, um das in den USA besonders heikle Thema dennoch auf die Agenda zu setzen.

„Darüber habe ich mit meinen Nonnen in Laredo gesprochen“, antwortete der demokratische Abgeordnete aus Texas, Henry Cuellar, auf eine Frage zu seiner Meinungsfindung zur Gesundheitsreform. Demokratische Abgeordnete vom anderen politischen Ende der Partei, wie die Kalifornierin Diana DeGette, hingegen verwehrten sich dagegen, dass die Gesundheitsdebatte den „Lebensschützern“ eine neue Tribüne bietet. „Wir wollen keine neue Abstimmung über die Abtreibung“, sagte DeGette, „wir wollen keine weitere Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts von Frauen.“ Frauenverbände wie die National Organization of Women (NOW) mit einer halben Million Mitglieder warfen US-Präsident Obama wiederum wütend vor, ihr Vertrauen missbraucht zu haben.

Einige demokratische Abgeordnete, die in ihren Wahlkreisen unter religiösem Druck stehen und um ihre eigene Wiederwahl bei den Mid-Term-Elections, den Kongresswahlen im November, fürchten, haben sich von der Zusage der präsidentiellen Verfügung überzeugen lassen. Auf republikanischer Seite hingegen verhallte Obamas Verfügung ohne jeden Effekt. Freilich haben viele Republikaner den Zwischenruf „Baby-Killer!“ im Repräsentantenhaus immerhin missbilligt. DOROTHEA HAHN