„Das wird wieder ein knappes Rennen“

SERIE ZUR BUNDESTAGSWAHL Eva Högl will als Direktkandidatin wieder Mitte für die SPD holen – aber diesmal könnte es noch enger werden als 2009. Ob Peer Steinbrücks Schicksal auf sie abstrahlt? Der Kanzlerkandidat ist ihr Nachbar in einem Weddinger Baugruppen-Projekt

■ Die 1969 in Osnabrück geborene Juristin war von 1999 bis 2006 Referentin im Bundesarbeitsministerium. 2009 rückte sie in den Bundestag nach und gewann im selben Jahr den Wahlkreis 76 (Mitte).

INTERVIEW UWE RADA

taz: Frau Högl, wie kommen Sie denn mit Ihrem neuen Nachbarn im Wedding aus ?

Eva Högl: Hervorragend.

Keine wilden Partys, keine laute Musik?

Mit wilden Partys und Musik hat er sich bislang zurückgehalten.

Kein Fluchen bei offenem Fenster, wenn mal wieder was schiefläuft?

Habe ich bislang auch noch nicht gehört.

Sie und Ihr Mann und auch Ihr neuer Nachbar, SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, leben seit Februar in einer Baugruppe im Wedding. Wie ist es dazu gekommen?

Freunde von mir haben im Bereich Alt-Mitte, wo ich vorher gewohnt habe, eine Wohnung gesucht. Sie haben gesagt, sie würden gern was kaufen, und da haben wir festgestellt, dass die Preise dort ganz schön happig sind. Mein Mann ist Architekt, und so ist im Freundeskreis die Idee entstanden, ein Grundstück zu suchen und zu bauen.

Die SPD versteht sich immer noch als Partei der Mieter.

Ich war eigentlich zufriedene Mieterin und wollte nie bauen oder kaufen. Aber wichtiger war uns, was zusammen zu machen. Und dann ist mein Mann im Sprengelkiez fündig geworden. Danach haben wir nach weiteren Leuten gesucht, die Lust haben mitzumachen …

und sind auf Peer Steinbrück gestoßen.

Ich hab ihm mal erzählt, was wir im Wedding vorhaben, und dann sagte er: Das klingt aber interessant, kann ich da mitmachen?

Fühlen Sie sich nach dem Umzug von Alt-Mitte in den Wedding auch ein wenig als Opfer einer Verdrängung?

Ich hätte da bleiben können. Ich hatte aber auch Lust auf den Wedding.

Die hat nicht jeder. Was reizte sie da?

Die bunte Mischung. Das ist hier ganz anders als in Mitte, wo ich vorher gewohnt habe. Ich vertrete ja den Wedding seit 2009 auch im Bundestag, und was ich hier so schön finde, ist das Miteinander. Hier leben Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe zusammen. Das ist toll.

Und wenn die Trinker auf der Straße grölen, gehört das auch dazu?

Das gehört zu einer Großstadt dazu. Auch zum Wedding.

Sieht das Herr Steinbrück auch so?

Ja, der ist gern in den Wedding gezogen.

Mal abgesehen von Peer Steinbrück: Ist denn Wohneigentum für Leute mit durchschnittlichem Geldbeutel inzwischen die einzige Möglichkeit, dauerhaft in der Stadtmitte zu bleiben?

Nein, so schlimm ist es noch nicht. Das darf auch nicht sein. Deshalb greift die Berliner SPD bei diesem Thema sehr beherzt ein. Berlin ist eine Mieterstadt, und wir müssen dafür sorgen, dass die Mieten bezahlbar sind. Eigentum ist eine weitere Möglichkeit, die wir nicht verdammen sollten. Da werden dann andere Wohnungen frei.

Es sei denn, Mietwohnungen werden in Eigentumswohnungen umgewandelt.

Die Zweckentfremdung als Ferienwohnung soll man verhindern. Aber die Umwandlung in Eigentumswohnungen ist in Berlin nicht so sehr das Problem.

Hat die SPD in Berlin das Mietenthema verschlafen?

Ja. Alle hätten viel früher reagieren müssen. Wohnen und Stadtentwicklung sind wichtige Themen, deshalb bin ich froh, dass Miete und bezahlbares Wohnen jetzt auf der politischen Agenda sind und mit dem Senator Michael Müller im Senat und in der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus höchste Priorität haben.

Sie sind im Jahr 2001 nach Berlin gekommen. Wie wurden Sie von der Stadt empfangen?

Ich habe zuvor in Bonn im Bundesarbeitsministerium gearbeitet, wollte aber unbedingt nach Berlin und habe mich deshalb im Ministerium auf eine neue Stelle beworben. Ich war dann froh, dass die Stadt hielt, was sie mir versprach. Ich bin in der Tieckstraße gelandet und war begeistert. Ich fühle mich als Berlinerin.

Das geht schnell.

Die Stadt macht es einem auch leicht.

Damals gab es noch viele Freiräume, Brachen, wilde Orte. Das verschwindet langsam. Sägt Berlin am Ast, auf dem es sitzt?

Man muss da sehr aufpassen und mit Augenmaß vorgehen. Es ist natürlich reizvoll, die Räume eng zu machen, Stichwort Wohnraum. Aber Berlin lebt von diesem Platz, von Grün, von lebenswerten Räumen.

Mitte Januar 2009 haben Sie die Chance Ihres Lebens bekommen. Weil ein SPD-Abgeordneter ausschied, sind Sie als Nachrückerin in den Bundestag gezogen. Für die acht Monate, die bis zur Wahl blieben, haben Sie Ihren Job aufgegeben.

Ich war insofern privilegiert, als ich ins Ministerium zurückgekonnt hätte, wenn auch nicht mehr an die alte Stelle. Ich habe das Referat Europa geleitet. Insofern hielt sich das Risiko in Grenzen. Aber zunächst musste ich Ende Januar 2009 von der SPD Mitte wieder als Kandidatin aufgestellt werden, und ich hatte zwei starke Gegner.

„Zurzeit stellt sich die Frage nicht und mir erst recht nicht“

ZUR NACHFOLGE VON KLAUS WOWEREIT

Die haben Sie aus dem Weg geräumt. Sie haben auch 2009 dann das Direktmandat in Mitte gewonnen, allerdings mit weniger Stimmen als ihr Vorgänger. Jörg-Otto Spiller hatte 41,9 Prozent, sie kamen auf 26 Prozent. Woran lag es?

Das ist der allgemeine Trend gewesen. Die SPD hatte bundesweit 23 Prozent bekommen. Da war ich froh, überhaupt das Mandat zu gewinnen, denn bei den Zweitstimmen lagen die Grünen vor der SPD. Als neue Kandidatin müssen Sie sich erstmal bekannt machen.

Nun werden Sie am 22. September als Titelverteidigerin antreten. Allerdings machen sich die Grünen Hoffnung, nach Friedrichshain-Kreuzberg im Bezirk Mitte das zweite Direktmandat zu holen. Wie wird das ausgehen?

Das wird wieder ein knappes Rennen. Ich kämpfe um jede Stimme.

2009 Bundestag, dann das Direktmandat, nun bekannt durch den NSU-Untersuchungsausschuss, schließlich Platz eins auf der Landesliste. Sie haben eine steile SPD-Karriere hinter sich.

Stimmt, das ist eine starke Entwicklung nach vorne, und darüber freue ich mich.

Da sind Sie vielleicht noch zu etwas Höherem berufen.

Aufgaben in der Politik werden immer auf Zeit vergeben. In dieser Zeit werde ich meine Arbeit für meinen Wahlkreis Berlin-Mitte engagiert fortführen. Was sich dann ergibt, wird man sehen.

Die Berliner SPD sucht gerade nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin für Klaus Wowereit.

Das wäre mir neu.

Wären Sie als gewissermaßen Außenstehende nicht am besten geeignet, die verfeindeten Lager im Berliner Landesverband zusammenzuführen?

Klaus Wowereit ist unser Regierender Bürgermeister bis 2016. Vielleicht tritt er sogar noch einmal an. Falls nicht, werden wir das im Landesvorstand, in Fraktion und Partei freundschaftlich entscheiden. Zurzeit stellt sich die Frage nicht, und mir stellt sie sich erst recht nicht. Ich mache jetzt hier den Bundestagswahlkampf.

Vielleicht können Sie die folgenden Fragen vervollständigen. Raed Saleh wäre ein guter Regierender Bürgermeister, weil …

… er engagiert sozialdemokratische Politik macht. Und weil er ein guter Fraktionsvorsitzender ist.

Jan Stöß wäre ein guter Regierender Bürgermeister …

… weil er ein sehr guter Landesvorsitzender ist und in Berlin gute Politik macht und Akzente setzt. Ich wiederhole mich nur ungern: Wir haben einen Regierenden Bürgermeister, und ich trete im Übrigen für die Bundestagswahl an. Können wir nicht lieber über Bundespolitik reden?

Was haben Sie gedacht, als Klaus Wowereit 2011 beschloss, nicht mit den Grünen, sondern mit der CDU zu koalieren?

Da war ich erschrocken. Mein Wunschpartner waren die Grünen. Am Ende gab es mehrere gute Gründe und sicherlich auch die eine oder andere Vorgeschichte, weshalb es nicht ging. Das muss man dann akzeptieren. Aber wir wissen auch, dass das nicht so gut klappt mit Klaus Wowereit und den Grünen. Ich glaube nicht, dass es nur die A 100 war.

Nach der Schredderaffäre haben Sie Innensenator Frank Henkel, Wowereits Koalitionspartner, im NSU-Untersuchungsausschuss den Rücktritt nahegelegt. War das eigentlich mit der Senatskanzlei abgesprochen?

Als Obfrau der SPD im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages habe ich gefordert, dass Innensenator Henkel dem Ausschuss alle verfügbaren Informationen über einen V-Mann des LKA Berlin übermittelt, der Kontakt zu dem Terrortrio hatte. Innensenator Henkel kannte diese Akten seit einem halben Jahr. Nach meinen deutlichen Worten haben wir die Akten dann bekommen.

Wie groß ist denn der Spagat, auf Landesebene mit der CDU zu koalieren und sie im Bundestagswahlkampf zu bekämpfen?

Im Bundestagswahlkampf stellen wir klar die Unterschiede zwischen SPD und CDU heraus. Es geht um einen Richtungswechsel auf Bundesebene.

Sind Sie eigentlich Europaexpertin. Wie war das, sich von heute auf morgen mit dem dunklen Kapitel NSU und dem Umgang der Behörden damit zu beschäftigen?

■ Am 22. September ist Bundestagswahl. Mit Eva Högl (SPD) endet die Interviewserie zur Vorstellung der SpitzenkandidatInnen – also der PolitikerInnen auf Listenplatz 1 ihrer Partei. Den Auftakt machte am 2. Juli Monika Grütters (CDU), es folgten Cornelia Otto (Piraten), Gregor Gysi (Linke) und Renate Künast (Grüne). Auch Martin Lindner kam zu Wort, dessen FDP im Berliner Abgeordnetenhaus nicht mehr vertreten ist. (taz)

Frank-Walter Steinmeier hat mich gefragt, ob ich für die SPD als Obfrau in diesen wichtigen Untersuchungsausschuss gehe, und ich habe sofort ja gesagt. Dann habe ich mich eingelesen, und das Thema hat mich richtig gepackt. Dieser Untersuchungsausschuss hat die schweren Versäumnisse der Sicherheitsbehörden aufgedeckt und Vorschläge erarbeitet, wie Rechtsextremismus wirksam bekämpft werden kann.

Mit den Erkenntnissen, die Sie im Ausschuss gewonnen haben: Wie beobachten Sie da den Prozess?

Ich bin bisher nicht in München gewesen, sondern verfolge die Berichterstattung in den Medien. Nach dem holprigen und unsensiblen Start des OLG München geht es jetzt um die Strafbarkeit der Angeklagten. Auch nach dem Prozess werden viele Fragen offenbleiben, wenn Beate Zschäpe nicht aussagt. Wie wurden die Opfer ausgesucht? Warum musste Enver Simsek am 11. September 2000 in Nürnberg sterben? Das ist vor allem für die Opfer und die Angehörigen schwer zu ertragen.

Wird das Thema im Wahlkampf eine Rolle spielen?

Nicht so, dass wir nun die gute Zusammenarbeit beenden, die wir im Ausschuss immer noch haben. Von Linkspartei bis CSU, das ist einmalig. Aber es gibt ein paar Punkte, an denen sich Unterschiede zwischen den Parteien zeigen und die wir im Wahlkampf auch erwähnen.

Welche?

Reform des Verfassungsschutzes: Da wir ihn beibehalten wollen, müssen wir ihn richtig reformieren. Und das Thema Zivilgesellschaft. Wir haben immer noch die Extremismusklausel, die muss weg. Wir haben eine unsichere Finanzierung der Vereine und Organisationen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, Opfer beraten und Bündnisse gegen Rassismus organisieren. Da unterscheiden sich die Parteien sehr deutlich. Die SPD will die Zivilgesellschaft stärken.

Klagt da eigentlich Ihr neuer Nachbar manchmal beim abendlichen Glas Wein im Garten: Ach Eva, warum läuft es nicht besser?

Das macht er nicht, Peer Steinbrück ist hochmotiviert. Wir sind jetzt in einer Phase, wo wir nicht mehr darüber sprechen, was schiefgelaufen ist. Wir wollen gewinnen.

Hat der heiße Wahlkampf schon begonnen?

Auf jeden Fall. Ich bin schon voll im Wahlkampfmodus. Ich war zehn Tage wandern und habe die Kräfte gestärkt, nun radle ich durch den Wahlkreis, es geht von Termin zu Termin.

Das Direktmandat ist Ihnen also sehr wichtig. Sie könnten ja auch sagen, ich bin auf Platz 1 der Landesliste und ziehe auf jeden Fall wieder in den Bundestag ein.

Ich engagiere mich für die Menschen, die in Mitte leben und arbeiten. Deshalb möchte ich den Wahlkreis Berlin-Mitte wieder gewinnen. Das hat oberste Priorität.