FEUCHTES GRAB FÜR TROCKENES HERZ

VON JOACHIM SCHULZ

„Wisst ihr eigentlich, wie extrem illegal das ist, was wir hier machen?“, fragte Luis. Noch streiften wir durchs Gras am Ufer des Flusses. Der Spaten und die kleine Kiste, die wir dabeihatten, ließen allerdings darauf schließen, dass wir dort nicht grundlos herumtapsten.

„Leichenschändung, Störung der Totenruhe, krasse Missachtung der Friedhofsordnung“, fuhr er fort, „sie stecken uns für Jahre in den Bau, wenn sie uns erwischen, und ich möchte mir gar nicht ausmalen, was die harten Jungs im Knast mit Leichenschändern machen.“

Unser alter Freund Charlie war gestorben. Noch in der Klinik, als wir ihm ein letztes Bier ins Krankenzimmer schmuggelten, hatte er uns ein Gelübde abgenommen. „Ich hasse Friedhöfe“, sagte er: „Stellt euch nur vor, dass die Esoteriker doch recht haben und die Seelen der Toten nachts aus den Gräbern steigen und miteinander quasseln – dasselbe läppische Zeug, das sie schon zu Lebzeiten in Bussen, Büros und Cafés miteinander quasselten! Und ihr sitzt dazwischen, könnt nicht weg und müsst euch das bis ans Ende der Ewigkeit anhören – schrecklich!“

Er hatte ein paar geheimwissenschaftliche Standardwerke studiert und herausgefunden, dass die Mehrzahl der Experten für Hokuspokus das Herz als den Sitz der Seele ansah. „Ich kann mich auf euch verlassen, oder?“, sagte er, nachdem wir feierlich und unwiderruflich den Eid geleistet hatten. Wir nickten, und er übergab uns lächelnd ein Bündel Scheine, das seiner Meinung nach ausreichen sollte, um einen Bestatter zu bestechen.

Er hatte recht, es reichte bei weitem. Ich hätte nie gedacht, dass ein Bestatter für einen derart lächerlichen Preis, ohne zu zögern, gegen die Grundsätze seiner Standesehre verstoßen würde. Auch hatte ich erwartet, dass er uns anstarren würde wie drei komplett Verrückte, sobald wir unser Begehren dargelegt hätten. Er aber sagte nur „okay!“ und nahm das Geld, als ob ihm die Hinterbliebenen seiner Kunden alle naslang ein paar Scheine für das Herz des Dahingeschiedenen gaben, um es zum Schutz der Seelenruhe an der Biegung des Flusses zu vergraben.

„Hier!“, sagte Raimund: „Hier ist es gut.“ Ich nickte, und Luis hob den Spaten. In diesem Moment stürmten vier Polizisten hinter den Büschen hervor. „Stopp!“, riefen sie: „Was tun Sie da?!“ Sie nahmen uns die Kiste ab und öffneten sie. Doch weil sie darinnen außer Sägespänen nur einen vertrockneten Klumpen fanden, den selbst ein Strohkopf nicht für ein menschliches Herz halten konnte, sondern unschwer als vertrockneten Leberpresssack identifizierte, brauchte Raimund – um spontane Ausreden nie verlegen – nur zu erklären, dass wir mit diesem feierlichen Begräbnis endlich dem verwerflichen Fleischverzehr abschwören und der heiligen Gemeinschaft der Vegetarier beitreten wollten, um dafür zu sorgen, dass dieses Abenteuer ein glimpfliches Ende nahm – auch wenn uns dieser Erzgauner von Bestatter natürlich aufs Übelste behumst hatte und Charlie dem bodenlosen Seelengekakel auf dem Zentralfriedhof nun doch bis ans Ende der Ewigkeit zuhören musste.