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Beim Fußball fallen die Geschmacksgrenzen schnell – das gilt auch für „Garuma – Leben im Sturm“, das spektakelige WM-Theaterstück von Ad de Bont in der Arena Treptow

Wann genau das angefangen hat, weiß man nicht. Auf alten Schwarz-Weiß-Fotos tragen die Zuschauer, fast ausnahmslos Männer, noch graue Mäntel und Hüte, die sie als Zeichen der Euphorie bei Toren in die Luft warfen. Schuld an der Karnevalisierung des Fußballs hat sicherlich nicht nur der um sich greifende Kommerz, sondern vor allem: der brasilianische Fußball.

Man kennt das. Stehen Brasilianer auf dem Platz, sind Trommelgruppen nicht weit. Lüsterne Kameraleute halten auf bauchfreie Sambatänzerinnen. Der Gute-Laune-Terror greift um sich. Auch das Theaterstück „Garuma – Leben im Sturm“, offizieller Beitrag im Rahmenprogramm der Fifa WM 2006, kommt nicht ohne Sambatrommeln und karnevaleske Zurschaustellung aus. Das Stück des Theaters Strahl, das deutschlandweit auf Tour geschickt wird, erzählt die Geschichte eines brasilianischen Fußballers, der sich aus den Elendsvierteln in die Spotlights der großen europäischen Arenen spielt, bevor er, von Verletzungen geplagt, den Niedergang seiner Karriere erleben muss.

Keine besonders originelle Geschichte also. Sie lehnt sich grob an die Geschichte des früheren Ausnahmefußballers Garrincha an, sozusagen der Stan Libuda Brasiliens. Schirmherr der Aufführungen in der Arena Treptow ist Marcelinho, der dieser Tage ein ähnliches Schicksal erlebt: Vom Exoten mit technischer Hochbegabung wurde er zum alternden Star, dem das Versagen der Mannschaft zur Last gelegt wird. Tatsächlich strahlte Marcelinho eine Aura der Melancholie aus, als er bei der Premiere in der ersten Reihe saß.

Der Star auf der Bühne, einem kleinen Stück Kunstrasen mit überdimensioniertem Tor und Elvis-Jailhouse-Rock-Gedächtnis-Gerüst, heißt allerdings Garuma, was ungefähr „wilder Vogel“ bedeuten soll. In seiner Geschichte tauchen auf: ein uneheliches Kind, zwei Exnutten als Ehefrauen, ein zynischer Fan, ein sadistischer Trainer und ein treuer Freund, der später fallen gelassen und darüber zum Auftragsmörder wird. Außerdem, warum auch immer: ein schwuler Priester und die Jugendabteilung von Hertha BSC.

Adriana Altaras, zuletzt beim Gorki-Theater mit einem Marthaler-inspirierten Singkreis rund um das Thema Holocaust aufgefallen („Trauer to go“), inszeniert den Reigen als schillernde Revue mit viel Musik und Tanz. Die Musik ist weitgehend schrecklich, aber passend. Brasilianische Leichtigkeit gegen das Pathos europäischen Mainstreamrocks. Fankultur kann schlimm sein, beim Fußball fallen Geschmacksgrenzen ohnehin schneller, als einem lieb ist. Erstaunlicherweise haut der Mix hier hin: Was hauptsächlich dem mutigen Gesang des Fans (Nadine Wrietz) geschuldet ist. Außerdem lobend zu erwähnen: Dirk Böhme im Telekom-Trikot, der eine schnittige Performance als Trainer hinlegt und so für den nötigen Pep vor der Pause sorgt.

Insgesamt muss man aber leider sagen, dass das Stück weitgehend sinnfrei und zu klischeebelastet bleibt. Nutten, Priester, Drogenmilieu und Andeutungen in Richtung Mafia wollen zwar für den nötigen Realismus sorgen, bleiben dem Stück für die ganze Familie aber auch wie Steine im Magen liegen. Darüber hinaus: zu viel Körperkult, zu wenig Kunst am Ball, zu wenig Ironie. Und immer, wenn’s ernst wird, wird auf Portugiesisch gequatscht. Der Sinn des Reigens wird so jedenfalls nicht klar – außer Spektakel und ständiger Bewegung passiert nicht viel. Und am Ende, bevor Spielanalyse, also Denken, also kritische Zuschauerreaktion möglich wird: Sambagetrommel. Den meisten hat’s trotzdem – oder gerade deswegen – gefallen. RENÉ HAMANN

15.–18. 3. in der Arena Treptow, 20 Uhr; am 15./16. auch 11 Uhr