Gewaltsame Provokation in Sadr City

In dem schiitischen Armenviertel in Bagdad kommen bei einer Anschlagsserie mindestens 46 Menschen ums Leben. Die Bemühungen über eine Regierungsbildung werden intensiviert. Im Saddam-Prozess werden jetzt die Angeklagten vernommen

VON KARIM EL-GAWHARY

Es mutet fast wie ein Wettlauf an: zwischen denjenigen, die durch Anschläge auf bestimmte Religionsgruppen einen Bürgerkrieg im Irak provozieren wollen, und denen, die ihn mit einer Regierung der Nationalen Einheit zu verhindern suchen. In der Nacht zum Montag waren Erstere am Werk. Sechs Autobomben explodierten in kurzen Abständen im schiitischen Armenviertel Sadr City in Bagdad. Mindestens 46 Menschen kamen dabei ums Leben, über 200 wurden verletzt. „Die Menschen wurden einfach in Stücke gerissen“, berichtete ein Augenzeuge auf einem der belebten Marktplätze des Viertels, in dem schätzungsweise über eine Millionen Schiiten leben.

Die Anschläge waren ein Schlag gegen Schiitenführer Muktada Sadr, der mit seiner Miliz, der Mahdi-Armee, Sadr City kontrolliert. „Sie wollen uns provozieren, damit die Mahdi-Armee eine Revolte anfängt“, beschreibt Ali Salah Abbas, einer der Sadr-Anhänger, die Motive der Attentäter. Nun steht die Frage im Raum, ob Sadr seine für ihre Disziplinlosigkeit bekannte Mahdi-Armee zurückhalten kann. Zumindest öffentlich versuchte er die Lage zu beruhigen, indem er Al-Qaida-Kämpfer und nicht generell Sunniten für die Anschläge verantwortlich machte. „Ich könnte die Mahdi-Armee aussenden, um die Terroristen und Fundamentalisten auszurotten, aber das würde zu einem Bürgerkrieg führen, und das wollen wir nicht“, erklärte er auf einer Pressekonferenz in Nadschaf.

Nur wenige Minuten vor der Anschlagserie in Sadr City war ein Treffen der großen politischen Blöcke zu Ende gegangen, die versuchen, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Ursprünglich hätte das Parlament bereits letztes Wochenende erstmals tagen sollen. Doch die erste Sitzung war aufgrund des Gerangels um Ministerposten um eine Woche verschoben worden. Nun haben sich die politischen Gruppen aber darauf geeinigt, sich täglich zu treffen, um die Differenzen auszuräumen, und die erste Parlamentssitzung auf Donnerstag vorverlegt. Dann beginnt eine Frist von 60 Tagen, in denen das Parlament einen neuen Präsidenten wählen, die Nominierung des künftigen Regierungschefs absegnen und dessen Kabinett billigen muss.

Unterdessen wird in Bagdad der Prozess gegen den Exdiktator Saddam Hussein und seine sieben Mitangeklagten fortgesetzt. Seit dem Wochenende werden die Angeklagten einer nach dem anderen ins Kreuzverhör genommen. Nachdem am Sonntag bereits drei Funktionäre der Baath-Partei im Zusammenhang mit der Exekution von 148 Schiiten im Dorf Dudschail 1982 nach einem Attentat auf Saddam Hussein vernommen worden waren, wurde gestern Awad al-Bandar, der damalige Vorsitzende des „Revolutionsgerichts“, in die Mangel genommen. Er argumentierte, dass die Exekutionen Ergebnis eines rechtmäßigen Prozesses gewesen seien. Doch der Vorsitzende Richter und der Staatsanwalt hakten immer wieder nach. Der Staatsanwalt bezeichnete das damalige Verfahren als „Scheinprozess“, und der Vorsitzende Richter, Rauf Abdel Rahman, fragte, wie die 148 Angeklagten im Gerichtsaal Platz gefunden hätten und wie alle in dem nur zweiwöchigen Prozess zu Wort gekommen seien. Außerdem wurden Dokumente vorgelegt, die belegen sollen, dass einige der Angeklagten bereits bei den Verhören des Geheimdienstes verstorben waren.

Die Fortsetzung des Prozesses wurde für Mittwoch anberaumt. Es wird erwartet, dass dann Saddam Hussein und sein Halbbruder, der ehemalige Geheimdienstchef Barsan Ibrahim al-Takriti, aussagen werden.