BERLIN VERLASSEN
: Angst vor der C-Zone

Ich darf das jetzt, ich darf das jetzt; ich sag’s mir immer wieder vor

Ich fahr bald in Urlaub – und ich hab Angst davor. Nicht vor dem Urlaub, der wird bestimmt schön. Ich hab Angst vor dem Verlassen der Stadt. Ich brauch da nur kurz dran zu denken und schon wird mir mulmig. Ich verlasse Berlin! Schöne Scheiße. Was ist, wenn ich plötzlich krank werde, zur Ärztin/zum Arzt muss, außerhalb Berlins? Was ist, wenn mein Geld alle ist, außerhalb Berlins? Werde ich mich trauen, zum Geldautomaten zu gehen, meine Karte da reinzustecken, Nummern zu tippen, Geld abzuheben? Ich weiß nicht. Dann steht das nämlich so auf dem Kontoauszug – schwarz auf weiß, blau auf weiß, rot auf weiß – egal, da steht’s: Geld abgehoben außerhalb Berlins!

Nee du, so was mache ich nicht. So was darf ich nämlich nicht.

Eigentlich muss ich sagen: So was durfte ich nicht. Vergangenheitsform. Jetzt darf ich das doch, jetzt bin ich groß und selbstständig, also darf ich das jetzt. Ich darf das jetzt, ich darf das jetzt; ich sag’s mir immer wieder vor, weil so richtig hab ich’s noch nicht kapiert, denn früher mal durfte ich eben nicht, und das prägt. Früher mal war ich Hartz IV, und als Hartz IV durfte ich die Stadt nicht verlassen, einfach so. Früher mal war ich Hartz IV, und als Hartz IV musste ich Kontoauszüge vorlegen, einfach so.

Jahre ist’s her, aber trotzdem: mein Herz wummert. Ich stehe an der Sparkasse, in Henningsdorf, Berlin Zone C. Zone C ist doch schon außerhalb, denk ich beim Tippen der PIN, das ist sogar schon Brandenburg! Darf ich das? Ich darf! Ich entnehme die Karte, ich entnehme das Geld, na bitte, geht doch. Ich schleiche mich raus. Und weil ich so schleiche, beschließe ich: Das muss ich üben. Ich schau auf den Plan, Berlin Zone C, in Teltow und Mahlow vielleicht? Die sind schon Richtung Süden, ich fahr gleich mal hin. Das wird schon, sage ich mir, das mit der Angst vor dem Urlaub, ich fang einfach an in Berlin Zone C. JOEY JUSCHKA