Überzogene Courage

Fußballer muss wegen Attacke auf Gegner Strafe zahlen. Der hatte zuvor einen gambischen Mitspieler beleidigt

„Sowas wie dich haben wir früher vergast.“ Dieser Satz stand im Mittelpunkt einer Verhandlung vor dem Harburger Amtsgericht. Dabei ging es eigentlich um Körperverletzung und nicht um Beleidigung. Angeklagt war der 37-jährige Hobbyfußballer Thomas N. Er hatte am 4. September 2005 beim Altherren-Ligaspiel zwischen dem Harburger SC und dem Oststeinbeker SV einem Gegenspieler per Kopfstoß das Jochbein gebrochen. Der Kläger, der 35-jähriger Diplom-Kaufmann Marcel K., musste umständlich operiert werden. Er hat bis heute kein Gefühl im linken Nasenflügel.

Vor Gericht ging es aber weniger um den unstrittigen Kopfstoß, sondern um die Vorgeschichte. In der erste Halbzeit sei es ein „ganz normales Fußballspiel“ gewesen, darin stimmten beide Teams überein. Wie es aber ein paar Minuten vor Ende der Partie zu einer Rangelei im Strafraum kam, darauf konnten sich beide Teams nicht einigen.

Die Oststeinbeker hätten in der zweiten Halbzeit ruppig und unfair gespielt, monierten die Spieler des Harburger SC, zu denen auch der Angeklagte Thomas N. gehört. Die Aggressionen hätten sich hauptsächlich gegen den einzigen Schwarzen in ihrem Team gerichtet. Der Gambier sei mehrfach gefoult und später sogar bespuckt worden, sagten seine Mitspieler wie auch er selbst. Kurz vor Schluss der Partie habe er dem Druck nicht mehr standgehalten und sei vom Platz gegangen.

In dem Moment habe Marcel K. den Satz mit dem „Vergasen“ gerufen, sagt Thomas N. Er sei daraufhin „etwas schnelleren Schrittes“ auf den Platz gegangen, erzählen seine Mannschaftskollegen, und habe dort den Kläger verletzt.

Die Oststeinbeker schilderten den Spielverlauf anders. Es sei überhaupt nicht hart gespielt worden. Zwar habe es insgesamt zehn gelbe und fünf rote Karten gegeben. Das aber sei auf die unruhige Hand des Schiedsrichters zurückzuführen. „Den Schiri kennen wir, der ist immer sehr parteiisch“, meinte ein Spieler. Die Strafen seien fast alle wegen Meckerns erteilt worden, kaum eine wegen eines Fouls. Bei der besagten Rangelei kurz vor Schluss habe der Kläger Marcel K. gehört, dass ihn jemand von der Seite anspricht. Als er sich umdrehen wollte, habe er schon die Stirn im Gesicht gehabt. An verbale oder körperliche Angriffe auf den Mann aus Gambia wollte sich bei den Oststeinbekern niemand erinnern.

Am Ende der dreistündigen Verhandlung forderte der Verteidiger Zusammenhalt und Loyalität – insbesondere mit Blick auf die anstehende Fußball-WM. „Sonst beklagen wir uns immer, dass die Leute keine Zivilcourage zeigen, wenn Ausländer beleidigt oder bedroht werden. Dieser Mann hat Zivilcourage gezeigt“, argumentierte der Anwalt und forderte Freispruch für seinen Mandanten. Die Staatsanwältin hatte zuvor auf 1.800 Euro Geldstrafe plädiert.

Als „Zivilcourage“ wollte die Richterin den Kopfstoß nicht durchgehen lassen. Allerdings bezog sie „massivste Beleidigungen“ gegen den Gambier ein und urteilte auf 600 Euro. Für den Kläger hat die Beschimpfung keine Folgen mehr. Zwar habe der Gambier Anzeige wegen Beleidigung gestellt, berichtete der Anwalt. Das Verfahren sei aber längst eingestellt. Oliver Wasse