Zwischen Geranien und Attac

Die Banken und die Angst: Im Gespräch mit Jan Böttcher über seinen Roman „Geld oder Leben“ erscheint die Geschichte der Bundesrepublik plötzlich als ein enger Raum voller Fahndungsplakate, Bankangestellter und anderer vertrauter Szenarien

Um politische Statements ist Böttcher jedenfalls nicht verlegen

VON BRIGITTE PREISSLER

Im Winter 1982, als Jan Böttcher gerade neun Jahre alt war, fuhren seine Eltern einmal mit ihm durch den Sachsenwald. Irgendwann kamen sie an einer Telefonzelle vorbei. „Diese hier war es“, sagte sein Vater ehrfürchtig. „Hier haben sie ihn verhaftet.“

Der kleine Jan auf dem Rücksitz kapierte das zu diesem Zeitpunkt noch nicht so richtig. Heute weiß er, dass sein Vater damals von Christian Klars Festnahme sprach. Kurz zuvor, am 16. November 1982, hatte die Polizei den Terroristen an dieser Stelle östlich von Hamburg verhaftet. Die elterliche Beklommenheit beeindruckte den 1973 in Lüneburg geborenen Böttcher so nachhaltig, dass er die einzige autobiografische Passage seines neuen Romans „Geld oder Leben“ dieser Szene nachempfand. Sein Protagonist Karl ist allerdings erst vier, als seine Eltern mit ihm durch den Sachsenwald fahren.

Die Terroristenfurcht seiner „Ma“, wie Karl sie nennt, ist auch der Grund, weshalb der Siebzehnjährige und sein Freund Dennis im Roman die Sparkassenfiliale überfallen, in der sie als Kassiererin arbeitet. „Leeschdischhin“, sagt Dennis mit lange geübtem türkischem Akzent zu ihr, und fuchtelt dabei mit einer geladenen Schusswaffe herum. Den beiden geht es keineswegs um die zweihundertfünfzigtausend Mark, die Ma ihnen daraufhin in eine Kaufhaustüte stopft. Sie inszenieren den Überfall, um sie dadurch von ihrer RAF-Neurose zu heilen, an der sie 1997 noch immer leidet – eine obskure Schocktherapie.

Der Plot ist frei erfunden. Doch Böttcher erinnert sich noch gut an jene Zeit, als rechtschaffene Bürger bänglich auf die Fahndungsfotos von Gudrun Ensslin und Andreas Baader starrten, wenn sie ihr Erspartes bei der Bank einzahlten. Als Anlaufstelle für die Kleinsparer Westdeutschlands, die sich von anheimelnden Geranienfenster-Inseraten in Provinzfilialen locken ließen, wurde die Sparkasse für Böttcher zu einer exemplarischen Institution der alten Bundesrepublik. „Ich bin selbst immer bei der Sparkasse gewesen“, grinst er. Karl, sein Protagonist, hat ebenfalls enge Beziehungen zu den Geranienfilialisten: Die ganze Familie besteht aus Sparkassenangestellten.

Trotzdem ist „Geld oder Leben“ kein autobiografischer Roman wie Böttchers Debüt „Lina oder: Das kalte Moor“ (2003). Karls Nerdismus etwa ist längst nicht so ausgeprägt wie der des markant hornbebrillten Böttcher, der allerlei elaborierte Vorträge über das Bankenwesen im Allgemeinen zu halten weiß. Studiert hat er aber nicht BWL, sondern deutsche und skandinavische Literatur. In Berlin wohnt er seit 1993, letztes Jahr zog er mit seiner Freundin nach Süd-Pankow. Und hat, wie er zugibt, viele seiner Sehnsüchte in diesen Ich-Erzähler gesteckt: „Karl lässt einfach alles raus.“ Er ist ein liebenswert rotziger Nichtsnutz, der nach dem Banküberfall – denn natürlich werden die beiden erwischt – in einer Behinderteneinrichtung resozialisiert wird. Er verliebt sich in Nane, die in der Stammkneipe seines verstorbenen Opas als Kellnerin arbeitet und ihm viel über das Leben dieses alten Kommunistenhassers erzählt. Doch die Beschäftigung mit dem alten Nazi wird seinem unbedarften Enkel bald zu langweilig. Als es dann auch noch mit Nane kriselt, beginnt er in Pankow eine Lehre als Automechaniker. 2001 fährt er mit einigen Attac-Sympathisanten zum G-8-Gipfel nach Genua. Irgendwo dort bricht der Roman unvermittelt ab.

„So ist für mich junges Leben“, sagt Böttcher, „zufallsgeprägt, voller fragmentarischer Episoden und unerwarteter Begegnungen, durch die man immer wieder in neue Milieus vermittelt wird.“ Aber ist das für einen Roman nicht zu beliebig? Nein, meint Böttcher: So ein literarisches Plädoyer für die Bewegung sei schließlich mal etwas anderes als die statischen Partyerzählungen manches Altersgenossen.

Stimmt. Auch Böttchers Auseinandersetzung mit so etwas Unlustigem wie Naziopas und RAF-Mitglieder ist nicht unbedingt generationstypisch. Das Aufkommen des internationalen Terrorismus und die Angst, durch Maßnahmen zu seiner Eindämmung immer mehr Persönlichkeitsrechte zu verlieren – an dieser Stelle schiebt Böttcher eine kleine Lästertirade über den deutschen Innenminister ein –, weckten sein Interesse am Terrorismus der 70er-Jahre. „Faszination? Darfst du nicht schreiben“, betont er. „Wir hatten schließlich nicht Che Guevara hier, sondern nur ein paar Vollidioten, die alle paar Jahre mal einen amerikanischen Gesandten mit einer Bombe bewerfen konnten.“

Um politische Statements ist Böttcher jedenfalls nicht verlegen. Für Musik bleibt dem Frontmann der Popband Herr Nilsson dagegen im Moment kaum Zeit. Er setzt einiges daran, vom Schreiben leben zu können. Mit „Geld oder Leben“ trennte er sich deshalb sogar schweren Herzens vom Kleinverlag Kookbooks, bei dem sein Debütroman erschien. „Ich wollte einfach, dass auch mal ein Buch von mir im Buchhandel liegt. Und Rowohlt Berlin hat einfach bessere Vertriebswege.“ Das klingt nun fast rechtfertigend. Aber so ist das nun mal: Zwischen „Geld oder Leben“ muss sich jeder irgendwann entscheiden.

Jan Böttcher: „Geld oder Leben“. Rowohlt Berlin, Berlin 2006, 302 Seiten, 19,90 €. Buchvorstellung: 28. 3., 20 Uhr, Dock 11, Kastanienallee 79