Pekings Friede mit der Weltpresse

Am Ende des jährlichen Plenums des Volkskongresses lullt Chinas Premier die Medien ein

PEKING taz ■ Einmal im Jahr stellt sich Chinas Regierungschef live im Fernsehen den Medien. Hunderte von Journalisten sind dann am letzten Tag des Nationalen Volkskongresses in die Große Halle des Volkes am Pekinger Tiananmenplatz geladen. Abwechselnd dürfen sie fragen: erst ein Chinese, dann ein Ausländer. Über zwei Stunden ließ Ministerpräsident Wen Jiabao die Show gestern währen, viel länger als gewohnt. Doch er hatte allen Grund dazu: Die Fragen blieben brav wie nie.

Der übliche Showdown zwischen US-Reportern, die Krisen über Taiwan und Hongkong herbeiredeten, und Chinas Premier, der zwischen Nationalstolz und Goodwill-Botschaften an Washington lavierte, blieb gestern aus. Stattdessen Friede, Freude, Eierkuchen. Als dürfe sich Wen nicht nur mit dem Volkskongress im Einklang wissen, der seinen Rechenschaftsbericht gestern mit 2.858 zu 17 Stimmen billigte, sondern auch mit der oft KP-kritischen Weltpresse.

Da gab es zwar Nachfragen zur chinesischen Internetzensur oder zur zunehmenden Zahl gewalttätiger Bauernproteste im Land. Doch Wen nahm den Geist der Fragen auf, schwärmte solange vom chinesischen Internetboom und den Rechten aller Chinesen, die Freiheit im Internet zu nutzen, bis niemand mehr für möglich halten konnte, dass er der oberste Zensor des Landes sei. Auch die Bauernproteste meisterte er geschickt: Indem er vom nötigen Lernen im Umgang mit neuen sozialen Konflikten sprach, sich gegen lokale Behörden im Land wandte, die Gesetze gebrochen hätten, und stets die Rechte der Bauern betonte. Ein Leugnen des China heute prägenden Gegensatzes zwischen Arm und Reich war so an keiner Stelle herauszuhören. Also gab sich die Weltpresse zufrieden.

Zumal ihr die internationalen Themen fehlten. Gut, das Verhältnis zu Japan bleibt schwierig. Doch sei das weder ein Problem Chinas noch des japanischen Volkes, sondern einzig und allein ein Problem des japanischen Premiers, der bei seinen Schreinbesuchen in Tokio „Kriegsverbrecher der A-Klasse“ ehre, meint Wen. Darin würde ihm kaum ein ausländischer Journalist in Peking widersprechen. Nun könnte man Wen zu Iran oder Nordkorea befragen. Wie stellt sich China hier seiner internationalen Verantwortung als Atommacht? Doch keiner stellt die Fragen. Zu bekannt, zu professionell, sind die Antworten der chinesischen Regierung.

Wen hätte erzählt, wie sich Peking um Fortsetzung der Sechser-Gespräche mit Nordkorea bemühe. Dass Diplomatie die einzige Lösung sei und dies auch für Iran gelte. Dass China Sanktionen für ungeeignet halte, die Probleme zu lösen, aber nicht ausschließe, sich an ihnen zu beteiligen. Man hört das seit Jahren. Welches Thema ist spannender? Natürlich Indien. Wen war letztes Jahr dort. Jetzt sagt er: „Mein Glaube ist, dass wenn Indien und China stark genug sind, das Beste aus sich herauszuholen, dann bekommen wir wirklich ein asiatisches Jahrhundert.“ Friede, Freude, Eierkuchen. Aber schwer, dagegen anzukommen.

GEORG BLUME

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