Größter US-Terrorprozess vor dem Aus

Verfahren gegen den Franzosen Zacarias Moussaoui wegen Mitplanung der Anschläge vom 11. September 2001 ausgesetzt. Der Grund: Beeinflussung von Zeugen durch Anwältin der Regierung. Die Folge: Der Angeklagte entgeht der Hinrichtung

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Der einzige Prozess wegen der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA droht zu kippen. Der Angeklagte Zacarias Moussaoui könnte der Todesstrafe entgehen, da eine Anwältin der US-Regierung unerlaubt Zeugen beeinflusst haben soll. Die sichtlich fassungslose Richterin Leonie Brinkema setzte am Montag die Festlegung des Strafmaßes für den aus Marokko stammenden Moussaoui für mindestens zwei Tage aus. Sie brauche Zeit, um zu entscheiden, ob sie den Antrag der US-Staatsanwaltschaft auf Todesstrafe abweise, sagte Brinkema. Moussaoui, der sich bereits im April 2005 schuldig bekannt und zugegeben hatte, von Al-Qaida-Anführer Ussama Bin Laden mit der Planung von Anschlägen beauftragt worden zu sein, droht nun stattdessen eine lebenslange Haftstrafe.

Brinkema schickte die Jury nach Hause, nachdem bekannt geworden war, dass eine nicht direkt am Verfahren beteiligte Regierungsanwältin sieben Zeugen der Anklage zu Unrecht Einblicke in die vertraulichen Gerichtsprotokolle der letzten Woche gegeben hatte. Die Richterin sprach nach US-Medienberichten von einer Verletzung der Verfahrensregeln, die eine Fortsetzung des Prozesses erschwere. „In all meinen Jahren als Richterin habe ich so eine ungeheuerliche Verletzung der Regeln über den Umgang mit Zeugen noch nie erlebt“, sagte Brinkema empört.

Den Angaben zufolge soll die Anwältin der US-Verkehrssicherheitsbehörde (TSA), Carla Martin, den sieben Mitarbeitern der Behörde, die als Zeugen aussagen sollen, die Abschriften der Eröffnungsplädoyers und der ersten Aussagen im Prozess per E-Mail übermittelt haben. Zudem soll sie ihnen trotz eines ausdrücklichen richterlichen Verbots Ratschläge gegeben haben, wie sie auf Fragen antworten sollen. Nachdem dies bekannt wurde, forderte die Verteidigung, entweder das Verfahren einzustellen oder die Todesstrafe auszuschließen. Da sich Moussaoui in wesentlichen Anklagepunkten bereits schuldig bekannte, geht es in dem Verfahren in Alexandria bei Washington lediglich noch um das Strafmaß. Die Staatsanwaltschaft selbst treffe keine Schuld, betonte Brinkema.

Moussaoui, der im Prozessverlauf bereits mehrfach wegen Wutausbrüchen verwarnt wurde, brüllte nach der Verfahrensaussetzung: „The show must go on!“ („Die Show muss weitergehen!“) Sein Verteidiger Edward MacMahon bat die Richterin, den Antrag auf Verhängung der Todesstrafe abzuweisen, da dies „kein faires Verfahren mehr wird“. Er sagte, Martin habe eindeutig versucht, Zeugen zu beeinflussen.

Für die US-Regierung wären sowohl eine Einstellung des Verfahrens als auch ein Verzicht auf die Todesstrafe eine ziemliche Schlappe. Die Staatsanwaltschaft hatte zu Beginn des Prozesses vergangene Woche die Todesstrafe gefordert. Dies begründete sie damit, dass Moussaoui die Anschlagspläne hätte enthüllen und damit fast 3.000 Menschenleben retten können. Der Angeklagte hatte sich wiederholt als Bin-Laden-Verehrer und Al-Qaida-Mitglied bezeichnet.

Moussaoui, der französischer Staatsbürger ist, erklärte sich schuldig, an einer Verschwörung beteiligt gewesen zu sein, die Anschläge in den USA plante. Er blieb bislang aber bei seiner Aussage, dass er mit den Anschlägen vom 11. September 2001 selbst nichts zu tun gehabt habe.

Moussaoui war US-Behörden während einer Pilotenausbildung in Minnesota aufgefallen. Mehrere Attentäter des 11. September hatten sich zu Piloten ausbilden lassen. Für die Anschläge entführten sie Passagierflugzeuge, die sie ins World Trade Center in New York und ins Pentagon steuerten.