Augen zu, und schon ist der Illegale weg

Italien legalisiert 170.000 illegale Einwanderer. Der Trick: Der Staat tut so, als seien sie noch gar nicht im Land

ROM taz ■ Etwa 140 Menschen aus allen Kontinenten stehen Schlange, jeder mit einem großen Briefumschlag in der Hand. Fünf Carabinieri in Uniform bewachen den Eingang des Postamts. Schlag 14.30 Uhr ertönt das Kommando der Carabinieri: „Die ersten drei.“ So wie in 6.000 weiteren Postämtern in ganz Italien begann am Dienstagnachmittag in der Via Massaciuccoli der Run von illegal im Land lebenden Immigranten auf eine der 170.000 Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse, die die Regierung für 2006 ausgelobt hat.

Es war ein Wettlauf mit der Zeit: Chancen auf die Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus hatten nur die Ersten in der Schlange, denn die Rangliste wird in der Reihenfolge des Eingangs der Einträge aufgestellt; Die italienische Post hatte dazu extra ein elektronisches System installiert, das die Anträge auf die Tausendstelsekunde genau stempelte. Für die Immigranten hieß das andererseits bis zu 60-stündiges Schlangestehen. Dass die ganze Aktion friedlich über die Bühne ging, lag an den Immigranten selbst: Sie hatten überall in Selbstorganisation Listen der Wartenden aufgestellt, um Schummeleien zu verhindern.

Nichts ändern konnten die äußerst disziplinierten Einwanderer aber an der Farce, die der italienische Staat mit der Aktion organisiert hatte. Offiziell nämlich wurden gestern Anträge auf Einreise von Arbeitnehmern aus dem Ausland gestellt, unterzeichnet von den „zukünftigen“ Arbeitgebern. Faktisch aber wird niemand einreisen – alle sind schon da, als Illegale. Doch die Regierung will von einer offiziellen Legalisierungsaktion nichts wissen. Die letzte Legalisierungswelle hatte es 2002 gegeben; von ihr profitierten damals fast 700.000 Menschen. Zugleich aber hatte die Regierung Berlusconi seinerzeit erklärt, „nie wieder“ werde eine nachträgliche Legalisierung schon im Land Lebender stattfinden. In Zukunft komme nur noch ins Land, wer nach dem Antrag eines möglichen italienischen Arbeitgebers einreise. Auf immer werde so der Sumpf der illegalen Einwanderung ausgetrocknet.

Doch de facto hat sich nichts geändert: Erst kommen die Menschen illegal ins Land, dann schaffen sie es – wenn sie Glück haben –, eine Aufenthaltserlaubnis zu ergattern. Hätte der italienische Staat gewollt, er hätte am Dienstag auf einen Schlag vor den Postämtern 500.000 Illegale abfischen können. Stattdessen griff er zu einer verkappten Legalisierungsaktion. Die Tatsache aber, dass es der Regierung zugleich darum ging, den Schein einer programmierten Quotenpolitik zu wahren, machte die Legalisierungswelle von 2006 zugleich zum Glücksspiel für die Immigranten: So gut wie alle arbeiten schon im Land, die meisten als Haushaltshilfen, als Bauarbeiter oder Erntehelfer, doch nur ein Drittel von ihnen muss künftig keine Angst vor Polizeikontrollen mehr haben. Aber auch die Glücklichen, die den Zuschlag bekommen, müssen für die Regierungsfarce bezahlen: Sie werden nämlich extra in ihr Heimatland zurückreisen müssen. Erst dann können sie, nun ganz offiziell, mit ihrer neuen Aufenthaltserlaubnis wieder einreisen. MICHAEL BRAUN