Stillleben des Sexgeschäfts

Ganz weit unten auf der Resterampe des Sozialen: William T. Vollmann begibt sich mit seinem Buch „Huren für Gloria“ ins dreckstarrende Rotlichtmilieu von San Francisco

Immer der gleiche Ablauf, die gleichen Wege. In die Kneipe, an den Tresen. Zwei, drei Bier. Zurück auf die Straße, eine Frau ansprechen, den Preis erfragen, danach aufs Zimmer, ins Hotel. Das Leben, das der Vietnamveteran Jimmy in San Francisco führt, dreht sich im Kreis. Ficken, saufen, Fernweh. Oder doch eher Fernweh, saufen, ficken?

In William T. Vollmanns Roman „Huren für Gloria“ gehört das Amerika der Achtzigerjahre den Kaputten. Crack ist schwer im Kommen, Geschlechtskrankheiten breiten sich aus. Als Kriegsveteran steht auch Vollmanns Erzähler-Ich Jimmy weit unten auf der Resterampe des Sozialen: die Transvestiten und Huren im Tenderloin-Viertel, ihre dichtgedröhnten Zuhälter; dazu Code Six, ein Kumpel aus der Armee, der so furchtbar stinkt, dass er nirgendwo bedient wird. Selbst Bukowski hätte sich in dieser dreckstarrenden Gegenwart unwohl gefühlt.

Für Vollmann ist der kalifornische Rotlichtschund trotzdem genau richtig. Offenbar blüht der 1959 geborene Schriftsteller, der 2005 für seinen Episodenroman „Europe Central“ mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde, erst an Orten auf, deren extreme Verhältnisse eine Art Antizauber bilden. Bereits 1982 war er für seine literarische Reportage „Afghan Picture Show“ nach Afghanistan gereist, um sich den Mudschaheddin gegen die Sowjets anzuschließen. Weil er laut Buchuntertitel „die Welt retten wollte“. Doch die Welt hatte nicht auf ihn gewartet. Vollmann war den Härten des Partisanenalltags kaum gewachsen, und er konnte zwar Lenin zitieren, wusste aber nichts vom bewaffneten Kampf. Das Ergebnis las sich dennoch eindringlich, als Protokoll des Scheiterns.

Auch „Huren für Gloria“ bewegt sich im Kriechgang durch die Wirklichkeit. Wieder und wieder lässt sich Jimmy von den Prostituierten erzählen, was die Freier mit ihnen anstellen, wo das Geschäft aufhört und wann der Schmerz beginnt. Vergewaltigungen, Demütigungen oder die bloße Blowjobroutine – auf 200 Seiten fügt Vollmann aus lauter Vignetten sein Stillleben des Sexgeschäfts zusammen.

Dabei verwischen die Grenzen zwischen popliterarisch kühler Bestandsaufnahme und den fiebrigen Obsessionen seines Helden zunehmend: Jimmy benutzt die Geschichten der Frauen, um sich aus der Summe ihrer Erfahrungen jene imaginäre Gloria zu konstruieren, die er anbetet. Denn er will eins werden mit dem, was er begehrt. Oder wie Vollmann schreibt: „Wenn er nur genügend schöne Geschichten hören und sie in seinen eigenen Gedächtnisspeicher stecken würde, würde er Gloria vielleicht nicht mehr brauchen.“

Das ist literarische Wahrheit und künstlerischer Stilwille in einem. Denn die Aussage trifft auch auf die Strategie zu, mit der Vollmann seine Milieustudie betreibt. Er ist nicht ordnende Instanz, sondern selbst Konsument von Realität. Dieser Logik folgt Vollmann abgeklärt, aber konsequent: Selbst die Preise, die er den Prostituierten für ihre Auskünfte bezahlt hat, stehen im Nachspann des Romans – 50 Cent bis ein Dollar pro Interviewminute. In den besten Momenten ist „Huren für Gloria“ so angemessen illusionslos, dass Vollmann seinem Jimmy nur eine Frage gestattet: „Das Problem ist, sagte er sich, wie kann ich einen Fuß vor den anderen setzen, Tag für Tag, für den Rest meines Lebens?“ Dann macht er sich wieder auf den Weg. In die Kneipe, an den Tresen. HARALD FRICKE

William T. Vollmann: „Huren für Gloria“. Aus dem Amerikanischen von Thomas Melle, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2006, 200 Seiten, 17,80 €