Hinter dem Zaun von Wittenau

NACHBARN Seit das Marie-Schlei-Haus am Eichborndamm zur Flüchtlingsunterkunft wurde, grassieren Angst und Vorurteile unter den Anwohnern. Ein Besuch vor Ort

„Warum bauen die das Heim in einer der letzten urdeutschen Gegenden?“

ANWOHNERIN IN WITTENAU

VON MARINA MAI

Die Tschetschenin freut sich: „Heute ist bei uns ein Feiertag“, erzählt sie ihrer Schwester übers Handy. Zwei ihrer Kinder tollen auf der Hüpfburg, das dritte fährt im Dreiradtaxi über den Platz vor dem Marie-Schlei-Haus in Wittenau. Mitarbeiter der AWO, die das Heim betreibt, verteilen Eis und schminken den Kindern Tiergesichter. Tag der offenen Tür im Flüchtlingsheim, das im April eröffnet wurde. Viele sind da: Mitarbeiter aus anderen AWO-Betrieben, von Land und Bezirk, Berlins Integrationsbeauftragte Monika Lüke, Vertreter von SPD, Piraten, Linken und vom Flüchtlingsrat. Nur nicht die, für die man die Türen eigentlich geöffnet hat: die Nachbarn rund um den Eichborndamm.

Die wollen noch immer nicht mit den Flüchtlingen zusammenleben. Bereits als im März bekannt wurde, dass Asylbewerber in das Gebäude ziehen, gründete sich in dem gutbürgerlichen Wohngebiet im Nordwesten eine Bürgerinitiative dagegen. Anwohner fürchteten Einbrüche in den Wohnbesitz, Autodiebstähle, sexuelle Übergriffe, dass Menschen auf die Straße urinieren.

Bisher hat zwar niemand eingebrochen oder Autos geklaut. Es gab weder Vergewaltigungen, noch hat jemand seine Notdurft auf der Straße verrichtet. Doch die Wittenauer Nachbarn haben sich so hochgeschaukelt, dass sie einen anderen Grund für ihren Unmut gefunden haben: Kinder, die gern auf einem Spielplatz in der Nähe des Heims spielen. Inzwischen haben sie einen Zaun um den Spielplatz gebaut. Das Signal ist deutlich: Flüchtlingskinder sind hier unerwünscht.

Gegen Kinder habe sie nichts, sagt eine Frau, die gerade die Wohnung verlässt. „Aber auf den Spielplatz kommen ja auch die Eltern mit“, wendet sie ein. „Die Mutter ist tief verschleiert. Und der Macho-Mann guckt auf meinen Hintern, weil es bei seiner Frau nichts zu sehen gibt.“ Und das störe sie: Die „bedeckten Frauen“ ebenso wie die „Blicke der Männer“. Das gehöre „einfach nicht hierhin. Man hätte das Heim im Märkischen Viertel bauen sollen oder im Wedding. Dort stören Kopftücher nicht. Warum gerade hier, in einer der letzen urdeutschen Gegenden?“

Während die Frau mit der Reporterin spricht, lugen Nachbarn hinter ihren Gardinen hervor. Die Frau erbost sich weiter über die Aylbewerber, „die in der S-Bahn einfach so die Füße auf den Sitz stellen und singen. Das machen die doch mit Absicht, um zu provozieren.“ Zwei Nachbarinnen haben jetzt das Fenster geöffnet. Nein, mit der Presse reden sie nicht, sagen sie. „Wir haben alles schon woanders gesagt.“

Ein Mann transportiert Umzugskisten auf einer Sackkarre. Ja, er ziehe aus, sagt er und zeigt mit dem Finger auf das Marie-Schlei-Haus. „Das ist der Grund. Ich mag den Krach und die Musik von dort nicht. Das müssten sie mal hören.“ Ganz zum Schluss findet sich noch eine Frau, die nichts gegen das Heim hat. Den Zaun um den Spielplatz nennt sie „blöd“. Als die Eigentümergemeinschaft beschlossen habe, den zu bauen, habe sie dagegen gestimmt, sagt sie. „Aber meine eine Stimme zählte nicht.“ Leise, damit sie niemand von denen hört, die hinter den Gardinen gucken, fügt sie hinzu: „Das ist hier eine Massenhysterie. Da kann man nichts machen.“

Oliver Rabitsch ist Integrationsbeauftragter von Reinickendorf und angesichts der blockierenden Nachbarn auch ratlos: „Ich mache aufsuchende Nachbarschaftsarbeit. Aber wenn die Leute nicht bereit sind, mir ihre Türen zu öffnen, bin ich mit meinem Latein am Ende.“ Etwas ist ihm noch wichtig: „Keinesfalls denken alle Wittenauer so. Wir haben ein Sommerferienprogramm für Flüchtlingskinder gemacht. Da haben sich auch Nachbarn aus anderen Teilen Wittenaus ehrenamtlich engagiert.“

Die Antifa wollte am Samstag in Wittenau den „1. Antirassistischen Spiel- und Badetag Berlins“ veranstalten, um Flüchtlingskindern zu zeigen, dass sie willkommen sind. Weil Bezirk und Polizei den Aufbau der Spielgeräte nicht erlaubten, mussten sie jedoch auf den Kreuzberger Oranienplatz umziehen.