Mit der Ukulele bewaffnet

„Die Sozis lassen uns noch immer nackend in den Erbsen stehen – das kommt auf den Konzerten live rüber“, sagt Frank Baier

AUS DUISBURG LUTZ DEBUS

Mit seiner Pelzmütze und den von der Kälte geröteten Wangen sieht Frank Baier fast aus wie ein Rotarmist. „Wir machen hier Wurzelpflege“, sagt Baier. Aus der Manteltasche zieht er ein altes Foto. Zwei Reichswehrsoldaten posieren mit geschulterten Karabinern stolz vor ihrer Feldhaubitze. Im Hintergrund das Rathaus Duisburg-Hamborn. Der riesige wilhelminische Steinklotz hat sich seitdem wenig verändert. Nur stehen heute zwei andere Männer davor, bewaffnet mit Gitarre und Ukulele. Michael Zachcial und Frank Baier singen den Titelsong ihrer neuen CD „1920“.

Dann halte dir am besten jetzt die Ohren zu – Denn worum es hier geht: das ist ein Tabu Was soll das Ganze, fragst du – Wen juckt dat schon: 1920 – die Revolution!

Heute wird hier im Rathauskeller die Tournee der Folkband „Grenzgänger“ beginnen. Michael Zachcial (42) und sein Freund, der Liedermacher Frank Baier, haben ein Programm über die Märzrevolution im Ruhrgebiet zusammengestellt. Hier in Hamborn war der Amtssitz der Räterepublik. Der 20 Jahre ältere Baier erklärt mit sonorer Stimme: „Wenn die von der Roten Ruhrarmee von jemandem einen Lastwagen beschlagnahmt haben oder einen Sack Kartoffeln, dann gab‘s dafür eine Quittung. Nach dem Sieg der Revolution hätte der Wagenbesitzer und der Gemüsehändler dann eine Entschädigung bekommen.“ „Haben sie aber nicht“, sagt Zachcial.

Den Blick in unbestimmte Ferne gerichtet, doziert Michael Zachcial die historischen Fakten. Am 13. März 1920 putschten rechtsradikale Militärs unter der Führung von Wolfgang Kapp in Berlin. Die junge Reichsregierung unter dem sozialdemokratischen Kanzler Friedrich Ebert flüchtete nach Stuttgart, rief dort zum Generalstreik auf. Dieser legte das gesamte öffentliche Leben lahm. In vielen Städten, besonders im Ruhrgebiet, besorgten sich die Streikenden Waffen. Zwischen Duisburg und Dortmund entstand die Rote Ruhrarmee. Nach fünf Tagen mussten die Putschisten aufgeben. Die Revolutionäre aber stellten an die zurückgekehrte Regierung Forderungen, besonders nach Bestrafung der Putschisten und Veränderungen in der Reichswehr. Die Regierung reagierte prompt und ließ die Arbeiter von den Truppen, die kurz zuvor geputscht hatten, niedermetzeln. Vorsichtige Schätzungen gehen von mindestens 1.000 erschossenen Arbeitern aus.

Mit ihren Instrumentenkoffern gehen die beiden Musikanten Richtung Marxloh. Dort ragt ein anderes altes Bauwerk in den Vorfrühlingshimmel. Die großen Fenster zur Straße hin sind mit Spanplatten vernagelt. „Ein Nazibau, das alte Stadtbad“, erklärt Michael Zachcial. Als Schuljunge sei er hier immer Schwimmen gewesen. Seit Jahren schon sei das Bad geschlossen. Frank Baier guckt wütend auf den Granitklotz. „Während des Kapp-Putsches trugen die Freikorpskämpfer das Hakenkreuz am Stahlhelm. Die Nazis haben später viel von denen übernommen: Das Foltern, öffentliche Erschießungen und dass man sich sein eigenes Grab schaufeln muss.“ Dann stimmt er das Lied vom alten Muhs an: „Er schaufelt sich sein eigen Grab, er wendet sich verächtlich ab; Ans Werk, ihr Henker, hier stehe ich. Lebt wohl ihr Brüder und rächet mich.“ Johannes Leschinsky habe dieses Lied geschrieben, kurz nach Ende des Ruhrkampfes, sagt Baier. „Den alten Leschinsky hab ich Ende der Siebziger immer besucht. Mit meinem Cassettenrecorder.“

In den 80ern hat Michael Zachcial, damals noch Teenager, das erste mal Frank Baier gesehen, in einem Folkclub. Ab dem Zeitpunkt wollte er so singen wie er. Für ihn ist er der Woody Guthry des Kohlenpotts. 1971 spielte Baier mit seiner Band „Kattong“ im Vorprogramm von „Ton Steine Scherben“, 1978/79, beim großen Stahlarbeiterstreik, sang er zusammen mit Wolf Biermann morgens vor den Werkstoren. Dass das einstige Idol nun mit ihm eine CD aufgenommen hat, ist für Zachcial eine große Ehre. „Gleichfalls,“ kontert Baier.

Hinter der Autobahn beginnt Marxloh. Manche in Duisburg sagen Mürxlüh oder Klein-Istanbul. In den Schaufenstern sind fast nur Brautkleider zu bewundern. Imposante Gebirge von aufgebauschtem Tüll in allen Pastellfarben. Michael Zachcial zeigt wieder ein Foto. „Jetzt sind wir am Pollmanneck und das hier auf dem Foto war das Pollmanneck vor 86 Jahren.“ Der runde Erker eines Hauses ist klar wiederzuerkennen. Auf dem Bild wieder Soldaten mit Stahlhelm. Michael Zachcial bleibt stehen. „Die Straße bin ich immer lang, wenn Mutter mich zu Oma gebracht hat.“ Links geht es in eine schmale gepflasterte Gasse, die Wolfstrasse. Gedrungene Zechenhäuser aus Backstein.

„Hier hab ich als Kind noch die Einschusslöcher gesehen.“ Michael Zachcial sucht die Fassaden ab. Faustgroße Krater in der Ziegelwand. Die Reihe der Treffer der Maschinengewehrsalve setzt sich im ersten Stockwerk des Nachbarhauses fort. Noch ein paar Häuser weiter ist Zachcial am Ziel. Das alte Haus seiner Oma. 1973 ist sie gestorben. Zachcial zeigt auf ein taschentuchgrosses Fenster unterm Dach. „Da hatte ich mein Zimmer, wenn Mutter arbeiten war.“ Vor dem Fenster ist inzwischen eine Sattelitenschüssel montiert.

Da werden die beiden Musiker unvermittelt von hinten angesprochen: „Suchen Sie etwas?“ fragt eine Frau aus dem Nachbarhaus. Mit einem freundlichen Lächeln und flinken Worten erzählt Frank Baier von seinem historischen Spaziergang. Aische Güseltürk sagt: „Als ich 1978 hier hin gekommen bin, da wohnten hier noch viele alte Leute. Die haben auch von der Revolution erzählt. Und dass auch hier in der Straße geschossen wurde.“ Aber die Alten seien inzwischen alle tot. Und mit den neuen Bewohnern habe man nichts mehr zu tun. „Ja, ja, Wurzelpflege“, brummt Frank Baier.

Zum Ende des Spaziergangs kehren die beiden Sänger in einer Bäckerei ein. Am Nachbartisch sitzt ein Rentner bei seiner Flasche Pils und liest Zeitung. Die mit den großen Buchstaben. Der Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann grinst von der Titelseite. Da fangen die beiden Barden wieder an zu singen, trommeln dazu auf der Kunststoffplatte des Tisches. Flammen schlagen aus dem Schacht Schachthaus stürzt in Schutt und Scherben Drunten in der Grubennacht Rast der Tod und sät Verderben. Tja, wenn auch die Grube brennt Tja, wenn auch die Menschheit flennt Sicher sind vierzehn Prozent!

Frank Baier schlürft an seiner Tasse. „Hartz IV und so. Das uns die Sozis noch immer nackend in den Erbsen stehen lassen, wie damals, das kommt live rüber.“ Bei den bisherigen Konzerten sei das Publikum sehr gemischt gewesen. Vom 75-jährigen Rentner bis zur Punkerin mit Ringen in der Lippe und Schäferhund an der Leine. Bei den Punkern habe man mit dem Lied von Rio Reiser das Eis gebrochen. Die Macher der Musik kämen ja aus vier verschiedenen Generationen. Auf der CD sind die Lieder von Johannes Leschinsky, von Frank Baier, von Michael Zachcial zu hören. Und eben dann auch noch der März-Rap 1920, interpretiert von den „Sons of Gastarbeita“. Frank Baier beugt sich vor und bekommt eine ganz feierliche Stimme: „Die Schubkarre ist vielleicht eine andere, aber wir transportieren alle das gleiche Material.“