Nur eine symbolische Sitzung in Bagdad

Drei Monate nach den Wahlen hat der Irak endlich ein Parlament. Doch die Bildung einer Einheitsregierung stagniert, während sich die Anzeichen für einen Bürgerkrieg mehren. Auch gestern wurden in der Hauptstadt wieder 27 Leichen gefunden

VON KARIM EL-GAWHARY

In Bagdad hat gestern erstmals das neue irakische Parlament hinter hohen Betonmauern im Schutz der grünen Zone getagt – drei Monate nach den Wahlen. Einer der Abgeordneten, der namentlich nicht genannt werden will, gab bereits vor der Sitzung seine wenig enthusiastische Einschätzung: „Nichts wird heute passieren. Wir müssen das einfach hinter uns bringen“, um dann hinzuzufügen: „Anschließend werden wir uns informell zusammensetzten und uns bei dem Versuch, endlich eine Regierung zu bilden, gegenseitig anbrüllen.“

Er sollte Recht behalten. Das erste Treffen der 275 Abgeordneten hatte rein symbolischen Charakter. Die Mitglieder des Parlaments wurden zwar offiziell vereidigt, aber die verschiedenen schiitischen, sunnitischen und kurdischen Volksvertreter schafften es anschließend noch nicht einmal, sich auf einen Parlamentssprecher zu einigen. Auch die Worte des Alterspräsidenten, Adnan Pachachi, der die Eröffnungsrede hielt, klangen eher hohl: „Wir müssen der Welt zeigen, dass es künftig keinen Bürgerkrieg im Irak gibt. Das Risiko dafür besteht nach wie vor.“

Die Abgeordneten mussten sich nach einer halben Stunde eines Tricks bedienen. Als sie nach Hause gingen, schlossen sie die Sitzung nicht, sondern erklärten sie weiterhin für offen. Ein Manöver, um die Verfassung nicht zu verletzten. Sie schreibt vor, dass in der ersten Parlamentssitzung ein Sprecher der Kammer gewählt werden muss.

Die Verhandlungen darüber, wer das Amt des Ministerpräsidenten bekleiden soll, der dann eine Regierung der Nationalen Einheit bilden soll, steckten bereits zuvor in der Sackgasse. Der schiitische Mehrheitsblock hatte den bisherigen Ministerpräsidenten Ibrahim al-Dschaafari mit nur einer Stimme Mehrheit als Kandidaten nominiert. Doch neben fast der Hälfte des schiitischen Blocks stößt dessen Ernennung auch bei den sunnitischen und kurdischen Gruppen auf Widerstand. Immerhin stellte al-Dschaafari nach der Parlamentssitzung erstmals in Aussicht, auf das Amt des Regierungschefs zu verzichten. Er sei bereit abzutreten, „wenn meine Leute mir ein entsprechendes Signal senden“, sagte er. Ob er mit „meinen Leute“ nur den schiitischen Parlamentsblock oder alle Fraktionen meinte, ließ er offen.

Die politische Stagnation ist umso gefährlicher, als die Spannungen zwischen den verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen auf der Straße andauern. Seit Wochenbeginn wurden mindestens 86 gefesselte und geknebelte meist sunnitische Männer entdeckt, die zuvor getötet worden waren. Allein gestern wurden erneut 27 gefesselte Leichen in Bagdad gefunden. Eine Gruppe Kinder führte die Polizei zu dem Massengrab. „Die Kinder sind beim Fußballspielen auf den Verwesungsgestank aufmerksam geworden“, heißt es in Kreisen der Polizei. Augenzeugen berichten immer wieder von nächtlichen Razzien schiitischer Milizen, die als eine Art Todesschwadronen im Namen des Innenministeriums sunnitische Männer abholen. „Wir finden immer wieder Leichen, und wenn wir dann die Leute fragen, wer das war, machen sie die Todesschwadronen des Innenministeriums verantwortlich, die nachts gekommen seien“, erzählt ein irakischer Polizeihauptmann, der nicht namentlich genannt werden will. „Es sind fast immer ethnisch und religiös motivierte Racheaktionen“, sagt er. Die Morde dieser Woche werden als Revanche für sechs Autobomben angesehen, bei denen am Sonntag 58 Menschen im schiitischen Armenviertel Sadr-Stadt umgekommen waren.

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