SPAZIERGÄNGE (I)
: Pankower Nächte

Die Nordroute ist eine Herausforderung

Die Nordroute, sage ich apodiktisch zu Heiner, meinem besten Freund, der mich am Oranienburger Tor abholte, ist die schwierigste. Wir pflegen die Gewohnheit, einmal im Monat so lange in eine Himmelsrichtung zu spazieren, bis wir beide – Mittdreißiger mit Bauchansatz – erschöpft zusammenklappen.

Die Nordroute ist eine Herausforderung: Nach einem Zickzack durch Linien-, Acker- und Bernauer Straße kreuzt man den Mauerpark, um schließlich über den Schwedter Steg zu schreiten. Unter uns die Züge zur Ostsee, mit uns die nicht therapierte Höhenangst. Wir zittern – das verbindet.

Wieder auf dem Boden, geht es weiter gen Norden durch einen von den Japanern gespendeten Kirschenhain. Da blüht nichts, sagt Heiner. Bald, bald, verspreche ich, explodiert hier der Frühling. Wir erreichen Pankow, den elliptischen Majakowskiring, stapfen durch den Garten von Schloss Schönhausen und biegen in eine Ausfallstraße. Heute, hatte ich Heiner versprochen, erreichen wir die Stadtgrenze im Norden. Die Straße nimmt kein Ende. Wir passieren Bushaltestelle um Bushaltestelle. Endlich am Horizont: das offene Feld. Vorher die Eckkneipe Nordend, die Gärtnerei Nordend und der Nordgraben. Wieder eine Brücke, die uns Furcht einjagte: dreißig Meter unter uns ein dreckiger Bach, ein bröckelndes Ufer, Tierkadaver.

Doch wir finden zurück in die Zivilisation. Eine Patchworkfamilie (Opa Hamburch, Mama tiefstes Sachsen, Papa aus dem Rheinischen, Tochter trotzige Berlinerin) weist uns den Weg: Immer geradeaus, sagt die Mutter; über die Hauptstraße, der Opa; bis zu dem Platz, der wie eine Sackgasse aussieht, der Papa. Die Göre nennt den Schleichweg zur Pasewalker Straße.

Wir warten die halbe Nacht auf die Nachttram, die uns am Ende irgendwo zwischen Gesundbrunnen und Badstraße ausspuckt. TIMO BERGER