In der Onlinefalle

NETZBETRÜGER Bei versteckter Preisangabe sind Verträge nicht bindend

Schätzungen gehen in Deutschland von jährlich hunderttausenden Betroffenen aus

VON OLE SCHULZ

In den Untiefen des World Wide Web lauern unzählige unseriöse Anbieter, die angebliche Gratisangebote in Bares umzumünzen versuchen – ob Software, Hausaufgabenhilfen oder Kochrezepte. Viele Verbraucher rechnen nicht damit, für Dienste zahlen zu müssen, die es im Internet im Regelfall umsonst gibt. Im guten Glauben geben sie deshalb ihren Namen und ihre Adresse an.

Schlimmstenfalls haben sie damit den Vertrag über ein teures Abo oder einen kostenpflichtigen Zugang abgeschlossen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) fordert daher seit Längerem vehement, dass es für jedermann deutlich erkennbar sein muss, wenn ein Angebot Geld kostet. Doch in der Frage der offensichtlichen Erkennbarkeit liege „der Hund begraben“, sagt Martin Madej vom vzbv. Laut Preisangabenverordnung muss der Preis zwar „leicht erkennbar und deutlich lesbar“ sein, in der Praxis wird diese schwammige Vorgabe aber oft umgangen.

Bei Abzockseiten im Internet sei es häufig so, sagt Rechtsschutzexperte Madej, dass man zum Beispiel bei der Suche nach einem kostenlosen Download des Flash Players zunächst auf eine seriös anmutende „Landing Page“ eines Anbieters komme, der seine Website oftmals in den Farben des Originalprodukts gehalten habe. Dann werde man um die Angabe persönlicher Daten gebeten, dem viele ohne Bedenken nachkämen, „weil sie es schon gewohnt“ seien. Dass das Angebot aber kostenpflichtig ist, ist dabei leicht zu übersehen, weil der Preis im Browserfenster weit rechts oder unten auf der Website angegeben ist.

Mittlerweile will auch die Bundesregierung das Problem angehen, und laut Koalitionsvertrag soll es künftig ein „verpflichtendes Betätigungsfeld für alle Vertragsabschlüsse im Internet“ geben. Wie eine solche „Buttonlösung“ konkret aussehen könnte, ist allerdings noch offen. Ein Problem dabei ist, dass in anderen europäischen Ländern wie Frankreich die aktive Bestätigung aller Vertragsabschlüsse schon längst vorgeschrieben ist. Darum sei das Interesse an einer europaweiten Regelung „begrenzt“, sagt Madej.

Dazu kommt, dass ohnehin eine umfassende europaweite „Richtlinie über Rechte der Verbraucher“ geplant ist. Die Verhandlungen über die komplexe Materie laufen. Da die EU-Mitgliedsstaaten nach ihrer Verabschiedung keine Rechtsvorschriften beibehalten dürften, die von denen der Richtlinie abweichen, kann sich laut Madej eine Einigung noch hinziehen. Darum setzt sich der vzbv für eine nationale Regelung ein, allerdings habe auch diese ihre Tücken: „Ein solches Preisangabefenster muss zunächst vom Kabinett beschlossen werden.“ Weil es sich dabei um eine „technische Vorschrift“ handelt, muss sie anschließend aber in Brüssel vorgelegt werden. Das könne eine Entscheidung „verschleppen“.

Dennoch plädiert der vzbv für eine nationale Lösung. Denn bis zur Verabschiedung der europaweiten Verbraucherschutzrichtlinie wird aller Voraussicht deutlich mehr Zeit vergehen. Bis eine „Buttonlösung“ umgesetzt wird, sollte man bei vermeintlichen Gratisangeboten im Internet weiterhin genau hingucken. Wer dennoch einem unseriösen Anbieter aufsitzt, sollte auch dann Ruhe bewahren, wenn die ersten Rechnungen ins Haus flattern. Der vzbv empfiehlt, per Musterschreiben einmal zu erklären, dass man keinen Vertrag abschließen wollte, und dieses dann als Einschreiben mit Rückschein zu schicken. Denn rechtlich ist es bei versteckter Preisangabe zu gar keinem Vertragsabschluss gekommen.

Häufig reicht eine einmalige Antwort laut Madej aus, um nicht weiter mit Drohungen, Mahnschreiben und Inkassobriefen belästigt zu werden. Sollte allerdings irgendwann ein gerichtlicher Mahnbescheid kommen, müsse man in jedem Falle aktiv werden. Das komme aber nur sehr selten vor, und Madej bittet, solche Fälle umgehend den Verbraucherzentralen zu melden. „Diese Anbieter verdienen ihr Geld mit der Angst, sie wollen keine kostspieligen Prozesse führen.“

Wie viele nun tatsächlich in solche Kostenfallen im Internet tappen, ist nicht bekannt. Es trifft mit Sicherheit aber auch Menschen, die durchaus bis drei zählen können – zum Beispiel Ole von Beust. Der Hamburger CDU-Bürgermeister fiel auf eine vermeintliche Gratisseite herein, als er ein Gulaschrezept im Internet herunterladen wollte.

Schätzungen gehen von jährlich hunderttausenden Betroffenen in Deutschland und von einem Schaden im mehrstelligen Millionenbereich aus. Tiefere Einblicke in ihr Geschäftsgebaren musste im Vorjahr die Firma Content Services Limited – Betreiber der berüchtigten Abzockseite opendownload.de – gewähren, als sie sich gegen die Sperrung ihrer Bankkonten zur Wehr zu setzen versuchte. Nach eigenen Angaben verschickte die Firma allein im April 2009 in einer einzigen Woche 170.000 Rechnungen über je 96 Euro. Geht man davon aus, dass auch nur jeder Zehnte die Forderung beglich, bliebe ein Gewinn von 1,5 Millionen Euro – erzielt innerhalb weniger Tage.

Der vzbv gewann im Vorjahr einen Prozess gegen Content Service Ltd.: Die Firma darf nun nicht mehr eine Klausel benutzen, mit der die Verbraucher auf ihr gesetzliches Widerrufsrecht verzichten. Aber das Hase-und-Igel-Spiel geht weiter. Heute sei schnell eine neue Website mit anderem Namen gebaut, sagt Madej. Auch sei es schwierig, gegen bestehende Onlineanbieter vorzugehen: „Häufig haben wir schon Probleme beim Ermitteln der Adresse, um eine Abmahnung zuzustellen.“

Der Verbraucherzentrale Bundesverband fordert daher, dass Anwälten, die im Auftrag der Betreiber Mahnbescheide wie Postwurfsendungen verschicken, die Zulassung entzogen wird, und von den Banken, dass sie einschlägig bekannten Anbietern ein Konto verweigern.