KATHARINA GRANZINCRIME SCENE
: Six Feet Under

Ein Psychothriller – ein bisschen gothic, creepy und absolut unputdownable

Amy MacKinnon wurde erst spät zur Romanautorin. Sie hatte im Büro eines Politikers gearbeitet, den Job der Kinder wegen aufgegeben und irgendwann angefangen, für Zeitungen zu schreiben. Da hörte sie eines Tages ein Interview mit Jonathan Franzen, in dem er erzählte, wie viel Spaß er beim Schreiben von „Die Korrekturen“ gehabt hatte. Diese Art von Spaß wollte MacKinnon auch, gab aber den ersten Romanversuch nach siebzig Seiten auf.

Beim zweiten Anlauf legte die Vierzigjährige einen Roman hin, der so perfekt ist, dass man perplex den Hut davor ziehen muss. Getreu Franzens Diktum, dass man nur über Dinge schreiben soll, die man kennt, ist es ein Roman über eine Bestatterin geworden. Diese Branche nämlich kennt MacKinnon durch einen Onkel. Darüber hinaus ist ihr Bruder Polizist, sodass authentische Polizeierfahrungen in den Roman einfließen konnten. Denn es bot sich ja an, das Ausgangsthema, das ohnehin um den Tod kreist, mit einer Krimihandlung zu verknüpfen. Da es sich bei der Hauptfigur, die auch als Ich-Erzählerin fungiert, um einen psychisch beschädigten Charakter handelt, man ihrer Wahrnehmung also als Leserin nicht völlig trauen kann, verbindet sich die vielschichtige Handlung ganz organisch zu einer Art Psychothriller. Es ist einer der sehr intelligenten Sorte, dabei ein bisschen gothic und absolut unputdownable. (Jawohl! Sorry.)

Der Bestatterberuf ist der fragilen Clara Marsh Berufung, ein anderes Leben kennt sie nicht. Wenn sie die Toten präpariert, gibt sie jedem die passenden Blumen mit ins Grab, sorgfältig ausgewählt nach ihrer Bedeutung. Pflanzen sind die einzige Form von Leben, die sie an sich heranlässt, bis ein kleines Mädchen in ihr Leben tritt, das ab und zu im Leichenschauhaus spielt. Clara sieht Zeichen der Verwahrlosung und Ungeliebtheit an dem Kind, erkennt sich selbst in ihm wieder und öffnet sich nur widerstrebend. Kurz darauf sieht sie die Kleine auf einem Porno, der bei einem Toten gefunden wird, den Clara abtransportieren soll. Es scheint darin eine Verbindung zu einem anderen Mädchen zu geben, das drei Jahre zuvor ermordet aufgefunden und anonym bestattet wurde. Doch jetzt, da es endlich möglich scheint, diesen Fall zu lösen, ist das zweite Mädchen plötzlich spurlos verschwunden.

MacKinnons Buch ist Spannungsroman und psychologisch feines Frauenporträt in einem. Seine ganze raffinierte Doppelbödigkeit erschließt sich erst im Nachhinein. Bis das Begreifen aber endlich einsetzt, sitzt die Lektüre einem, fast unbemerkt, noch im Nacken. Auch dafür kennt das Englische einen schönen Begriff: creepy.

Amy MacKinnon: „In der Blüte ihres Grabes“. Aus dem Englischen von Astrid Gravert. Krüger, Frankfurt a. M. 2010. 315 S., 18,95 Euro