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: Uhren ohne Zeiger, Mäuse, die auf dem Kopf stehen: Bücher über kleine Wunder und die wunderliche Normalität

Wunder sind ja etwas aus der Mode gekommen. Was natürlich nicht heißt, dass sich die Leute nicht mehr wundern würden. Im Gegenteil, sie wundern sich sehr oft und sehr gerne: über Banales wie Schnee im März oder dass Labskaus essbar ist. Über Unerwartetes wie den eigenen Mut beim Erklimmen einer Kletterwand oder über Dinge, die andere normal finden – wenn zum Beispiel das eigene Kind die ersten Schritte macht. Profanes, Alltägliches eben. Jedes Mal, wenn sie sich wundern, spüren sie etwas vom Glück des ersten Mals, es ist, als wäre plötzlich irgendwo eine unsichtbare Tür aufgegangen.

Diese Idee hat Norman Messenger aufgegriffen. „… du stehst vor einer Tür ohne Zimmer – bist du dann drinnen oder draußen?“, fragt er und treibt so seine Spiele mit den kleinen Wundern, indem er eine aufklappbare Tür mitten in eine Landschaft stellt. Wer sagt denn, dass alles immer so sein muss, wie es ist? Alles könnte auch anders sein. Nach diesem Motto verfährt das Bilderbuch. Messenger malt ein Schloss ohne Schlüsselloch und eine Teekanne ohne Ausguss, er lässt beim Haus die Fenster weg und malt Tiere, denen man durch Falten oder Aufklappen der Seiten neue Köpfe oder Hinterteile geben kann. Ein Koffer ohne Griff, eine Uhr ohne Zeiger, drehbare Köpfe und über Kopf stehende Wesen – alles ganz einfach, alles wandelbar, alles zum Staunen.

Von der Freude, die es macht, an der Wirklichkeit zu drehen, erzählen auch die Bilder von Peter Schössow, dessen Figuren entfernt an „Tim und Struppi“ erinnern. Man kann eine Sache eben auch ganz anders als normalerweise machen, und trotzdem funktioniert es – davon handelt diese kleine Geschichte. Erfunden hat sie eigentlich der Dichter Christian Morgenstern, der hier den Zeichner Schössow zu einer sehr schönen Bildergeschichte über die etwas andere Art des Mäusefangens inspiriert hat: „Palmström hat nicht Speck im Haus, / dahingegen eine Maus. / Korf, bewegt von seinem Jammer, / baut ihm eine Gitterkammer. / Und mit einer Geige fein / setzt er seinen Freund hinein.“ Da sitzt Palmström dann in der Riesenmausefalle und musiziert durch die Nacht.

Das gefällt der Maus, die sich zu ihm gesellt – ein riesiger Möbelwagen bringt den riesigen Käfig am Morgen in den Wald. Schössow lässt den dicken Palmström tanzen, die Maus auf dem Kopf stehen und die Reime holpern. Wunderlich für den Betrachter, ganz normal für Korf und Palmström.

Was ist normal, was wunderlich? Lieschen findet Zahlen staunenswert. Die Sieben ist eine Unglückszahl, behauptet sie. Die Mathelehrerin reibt sich verständnislos die Augen. Sie kennt gerade, ungerade, natürliche Zahlen – aber eine Unglückszahl? So ein Quatsch. Doch Lieschen geht auf ihre Weise sehr logisch vor. Sie sammelt Beweise, dass mit der Sieben irgendetwas nicht stimmt. Sie sammelt Argumente, dass die Drei eine Glückszahl ist – Lieschen plus Mutter plus Vater ist gleich Glück. Sie findet die Vier erst langweilig, stellt dann aber fest, dass auf ihrem Bild alles vier Beine hat – also offenbar doch eine wichtige Zahl.

So geht das weiter, wobei die Zahlenspielerei nicht zu Tode dekliniert wird, sondern mal mehr, mal weniger Raum in der Geschichte einnimmt. Jens Sparschuh hat ein sehr freundliches, auch witziges Kinderbuch geschrieben, und als gestandener Schriftsteller für Erwachsene wie für Kinder muss er nichts beweisen, sondern ist souverän genug, auf alles Überdrehte zu verzichten. Er leiert seine Ideen nicht aus, das ist angenehm und trotzdem nicht betulich.

ANGELIKA OHLAND

Norman Messenger: „Stell dir vor … Das Wunder-Bilder-Buch“. Sauerländer Verlag, Düsseldorf 2006, 30 Seiten, 14,90 EuroChristian Morgenstern: „Die Mausefalle“. Bilder von Peter Schössow. Hanser, München 2006, 12,90 Euro Jens Sparschuh: „Mit Lieschen Müller muss man rechnen“. Eine Geschichte mit Zahlen. Mit Bildern von Sandra Kretzmann. Nagel & Kimche, Wien, 77 Seiten, 11,90 Euro