Letzte Blicke an der Rückbaustelle

Es ist so weit: Mit Baggern und Schweißbrennern rücken Arbeiter dem Palast der Republik auf den Leib. Für die Zaungäste stellt sich der Abriss ziemlich unspektakulär dar. Sie kommen, um Abschied zu nehmen, mal betrübt, mal schadenfroh. Der TÜV passt derweil auf, dass der Dom kein Risse bekommt

VON NINA APIN

Am Lustgarten fängt der Winter das historische Berlin wie in einer Souvenir-Schneekugel ein: Große weiße Flocken fallen auf das Alte Museum und den Berliner Dom. Über dem Schlossplatz auf der anderen Straßenseite schneit es auch. Doch hier fällt der Schnee ohne jeden romantischen Effekt auf akkurat gestapelte weiße Baucontainer. Der ganze Platz ist eine einzige Baustelle. Umgeben von einem mannshohen Drahtzaun brummen schwere Maschinen zwischen säuberlich aufgetürmten Schuttbergen hin und her: hier Betonbrocken, da Stahlstangen, dort zerstückelte Stahlträger. Ein Abrissbagger pflückt mit seinem Greifarm Stahl aus den Betonplatten und legt sie auf dem entsprechenden Haufen ab.

Drei ältere Herrschaften sind vor dem Zaun stehen geblieben. „Selektiver Rückbau Palast der Republik“, liest eine der Frauen laut. Sie seufzt. „Jetzt isses endgültig vorbei. Schade eigentlich.“ Die Brandenburgerin war hier früher oft zum Bowling, jetzt ist sie noch einmal gekommen, um zu schauen, wie der Palast verschwindet. „Viel sieht man ja noch nicht“, sagt sie. Es klingt enttäuscht.

So wie ihr geht es auch den anderen dick vermummten Baustellentouristen, die mangels spektakulärer Geschehnisse bald ihre Plätze am Bauzaun verlassen und weiterziehen. Nach all der Aufregung im Vorfeld hätten sich viele Berliner das Zertrümmern des DDR-Kolosses aus 52.000 Tonnen Beton, 20.000 Tonnen Stahl und 500 Tonnen Glas irgendwie gewaltiger vorgestellt. Begonnen hat der Abriss am 1. Februar, doch von vorne wirkt die rot-braune Glasfassade des Palastes fast wie immer. Nur links sieht ein Stück aus, als habe es jemand mit einem Mullverband umwickelt – ein Gerüst.

Alles im Zeitplan

„Wir sind im Zeitplan“, versichert Manuela Damianakis von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, der Auftraggeberin des Abrisses. Der Rückbau, der inklusive anschließender Begrünung 12 Millionen Euro kosten soll, erfolgt chronologisch genau umgekehrt zum Bau des Gebäudes. „Ingenieurstechnisch ist das eine Herausforderung“, sagt Damianakis. Ein Konsortium aus drei Abrissfirmen entfernt erst die Glasfenster, um dann mit einem Kran die Dachkassetten herauszuheben. In etwa einem Monat soll sich der Kran ins Innere durchgeknuspert haben. Erst der Volkskammersaal, dann der große Veranstaltungssaal, dann das Treppenhaus. Auch die gefürchtete, 174 Meter lange Stahlbetonwanne, die das Fundament des Palastes bildet, hat man jetzt im Griff. Damit das abnehmende Gewicht den Betonsarg nicht nach oben treiben lässt und den Grundwasserspiegel senkt, wird regelmäßig ein Gemisch aus Sand und Spreewasser in die Wanne gespült. Dazu rechnet Manuela Damianakis mit erhöhtem Baustellentourismus: „Wir sind die meistbeachtete Baustelle der Republik.“ Ein weiterer Hingucker sind die Schuttschiffe, die auf der Spree verkehren: 80 Prozent des Bauschutts werden über einen eigens gebauten Schiffsanleger entsorgt. Bis Ostern 2007 soll das gesamte Gebäude verschwunden sein. „Es geht alles seinen sozialistischen Gang“, sagt Damianakis mit leiser Ironie.

Michael Zeng kann dem Abriss gar nichts Komisches abgewinnen. Für den Mann in Daunenanorak und Wollmütze vollzieht sich auf dem Schlossplatz eine „ganz große Schweinerei“, die angesichts der Sanierung von Nazibauten wie dem Olympiazentrum ein „politisch verheerendes Signal“ ist. Zeng steigt auf den Sockel des Bauzauns und fotografiert mit der Digitalkamera die Rückseite der Baustelle, wo ein Riesenbohrer an der Betonbalustrade pickt. Alle zwei Wochen dokumentiert er für die Homepage seines Chefs, des thüringischen SPD-Abgeordneten Ernst Kranz, den Fortgang der Arbeiten. Damit, wenn etwas schief geht, nicht wieder alle sagen können, es sei ganz anders gewesen. Zeng muss sich anstrengen, gegen das dumpfe Hämmern anzuschreien, das aus dem gähnenden schwarzen Loch im Untergeschoss des Palastes kommt. Ganz tief im Inneren sprühen die Funken von Schweißbrennern.

„Hier wird entkernt“, sagt ein junger Bauarbeiter mit Berliner Akzent pragmatisch. „Zu sehen gibt’s schon lange nichts mehr, alles weg.“ Ist er traurig über das Ende des Palastes? Schulterzucken. „Mir egal. Ich soll hier nur was anschließen.“

Die Rückseite des Palastes ist bereits fassadenlos. Ein Gerippe, aus dessen nackten Betongeschossen gelbe Bauarbeiterhelme blitzen. Zwei Rentner mit Schiffermützen stehen auf der Rathausbrücke und kommentieren genüsslich das Geschehen. „Endlich kommt der Schandfleck weg“, freut sich der eine. Sein Freund ergänzt: „Seit Jahrzehnten hat dieser hässliche Kasten den Ausblick rüber zum Dom verschandelt.“ Keiner der beiden Westberliner hat das Gebäude jemals betreten. Jetzt blicken sie auf einen Verhau aus Beton und heraushängenden Drähten. „Technisch soll der Palast ja sehr gut gewesen sein“, murmelt der eine versonnen. Sein Freund winkt ab: „Das war keine Ostfirma, das waren Schweden.“ Ob später ein Imitat des Hohenzollernschlosses oder bloß eine grüne Wiese den Platz des „Kastens“ einnehmen wird, ist den beiden herzlich egal. „Architektonisch unpassender als das olle Ding kann’s nicht werden“, mit diesem Schlusswort verschwinden die beiden Richtung Dom.

Die Geophone passen auf

Der TÜV sorgt dafür, dass das historische Berlin durch den Abriss des DDR-Kolosses keinen Schaden nimmt. Die Ingenieurin Helma Fätkenheuer überwacht an einem Monitor die Schwingungsdaten, die ihr sechs „Geophone“ liefern: „Das sind Kästen auf vier Füßen, die Erschütterungen in Millimeter pro Sekunden messen“, erklärt sie in laienfreundlichen Worten. Drei dieser Kästen stehen im Dom, drei im Marstall auf der anderen Seite. Wird an der Ruine allzu doll gehämmert und geklopft, schlagen die Geophone Alarm, Frau Fätkenheuer bekommt eine SMS aufs Handy und kann sofort bei der Bauaufsicht einschreiten. Das Schwingungs-Frühwarnsystem soll verhindern, dass durch die Bauarbeiten Risse im Mauerwerk entstehen und sensible Gebäudeteile wie Stuck oder Mosaike abbrechen. Das wird nicht passieren, versichert Helma Fätkenheuer. Bereits letztes Jahr erstellte der TÜV eine Schwingungsprognose und verhinderte so, dass beim Abriss schwere Rammen eingesetzt werden. Fätkenheuers erstes Fazit aus ihrer bisherigen Überwachungstätigkeit klingt zuversichtlich: „Der Dom steht sehr stabil.“

Zumindest der historische Teil des Schneekugelpanoramas bleibt so erhalten – auch wenn vis-a-vis bald eine riesige begrünte Lücke klaffen wird.